Vor dem Hintergrund neuer Missbrauchsvorwürfe nimmt in Spanien der politische Druck auf die katholische Kirche zu. Die regierenden Sozialisten von Ministerpräsident Pedro Sanchez wollen die einschlägigen Anzeigen wegen sexualisierter Gewalt in den Reihen der Kirche durch eine unabhängige Expertenkommission untersuchen lassen.
Wie der sozialistische Fraktionssprecher Hector Gomez zu Wochenbeginn mitteilte, sollen einer solchen Kommission unter Vorsitz eines Ombudsmanns Fachexperten, Psychologen, aber auch Vertreter von Opferorganisationen, der Kirche und staatlicher Organe angehören.
"Das Vorhaben liegt nicht nur im Interesse der spanischen Gesellschaft, sondern dient auch der Kirche", sagte Regierungschef Sanchez im Interview des Portals eldiario.es (Dienstagabend). So könnten die Verantwortlichkeiten geklärt und die Geschehnisse der Vergangenheit effektiv aufgearbeitet werden. Es sei nötig, den entstandenen Schaden wiedergutzumachen und Vorkehrungen für die Zukunft zu treffen, so Sanchez.
Untersuchung außerhalb der Kirche
Bereits in der vergangenen Woche unternahm der linke Regierungspartner Unidas Podemos zusammen mit den in Katalonien regierenden Linksrepublikanern sowie der baskischen EH Bildu einen ähnlichen Vorstoß. Eine parlamentarische Kommission soll sich demnach mit den Missbrauchsfällen in der Kirche befassen. "Eine Untersuchung dieser Taten kann nicht innerhalb der Tore und Mauern der Kirche bleiben", erklärte Podemos-Sprecherin Sofia Castanon.
Die Linken sind trotz ihres eigenen Vorschlags offen für die Initiative der Sozialisten, die eine unabhängige Kommission bevorzugen. Diese Variante dürfte mit den baskischen Nationalisten der PNV und den liberalen Ciudadanos ohnehin über eine größere Unterstützung im Madrider Parlament verfügen.
Druck durch Zeitungsartikel ausgelöst
Der aktuelle Druck und die neuerlichen gesellschaftlichen Debatten über kirchlichen Missbrauch in Spanien wurden durch einen Bericht der Tageszeitung "El Pais" ausgelöst. Reporter des Blattes übergaben Papst Franziskus vor einigen Wochen einen 385-seitigen Bericht mit neuen Rechercheergebnissen. Die Dokumentation umfasste 251 Fälle, die bis ins Jahr 1943 zurückreichen. Von Tag zu Tag wächst nun die Liste der Betroffenen, die sich melden. Inzwischen geht "El Pais" von mehr als 1.200 Opfern in den vergangenen Jahrzehnten aus.
Der Papst forderte die spanischen Bischöfe auf, die Vorwürfe zu klären. Doch im Gegensatz zu Bischofskonferenzen in anderen Ländern wie Frankreich oder Deutschland plant der Episkopat im Königreich bisher keine landesweite, unabhängige Missbrauchsaufarbeitung.
Stattdessen wird eine dezentrale Vorgehensweise verfolgt. "Wir möchten, dass jedes Opfer das Gefühl bekommt, dass die Kirche in jeder Diözese bereit ist, den jeweiligen Fall konkret zu untersuchen", betonte der Generalsekretär der Spanischen Bischofskonferenz, Weihbischof Luis Argüello.
Sind die Bischöfe an objektiver Klärung interessiert?
Viele Politiker bezweifeln indes, dass die Bischöfe wirklich an einer objektiven Klärung interessiert sind, die dem Ansehen der Kirche extrem schaden könnte. Die Bischofskonferenz sieht sich derweil als Ziel eines rein politisch motivierten Angriffs. "Das Interesse besteht nicht darin, den Opfern zu helfen, sondern die Kirche anzugreifen", gab Bischofssprecher Argüello kürzlich zu Protokoll. Er warf den linken Parteien vor, die Opfer zu instrumentalisieren.
Auch der konservative Oppositionsführer Pablo Casado will die parlamentarischen Initiativen der Linksparteien nicht unterstützen, denen er eine ideologische Motivation unterstellt.
Unterdessen erklärte Präsidentschaftsminister Felix Bolanos im Interview des Senders Cadena SER, bereits den Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Kardinal Juan Jose Omella, um die Mitarbeit der Kirche in einer geplanten Untersuchungskommission gebeten zu haben.
Barcelonas Kardinal Omella, so Bolanos, habe jedoch darauf verwiesen, dass sich zunächst die zuständigen kirchlichen Gremien versammeln müssten, um über diese Möglichkeit zu entscheiden. Dies könnte noch bis März, womöglich bis April dauern.
Ob die Politik so lange auf eine Antwort wartet, ist fraglich.
Generalstaatsanwältin Dolores Delgado wies die regionalen Staatsanwaltschafte an, ab dieser Woche alle Verdachtsfälle und Anzeigen zu sexuellem Missbrauch im kirchlichen Umfeld zusammenzutragen und nach Madrid zu schicken.