Spaniens Situation in der Corona-Pandemie

"Überhaupt nicht vorbereitet gewesen"

Um eine weitere Ausbreitung der Pandemie zu verhindern, wurden in Spanien alle nicht lebenswichtigen Unternehmen geschlossen. Tobias Büscher, Journalist und Kenner des Landes, ordnet die derzeitige Lage ein.

Coronavirus in Spanien: Einkäufer stehen mit Abstand zueinander in der Schlange vor einem Supermarkt / © Carlos Gil/SOPA Images via ZUMA Wire (dpa)
Coronavirus in Spanien: Einkäufer stehen mit Abstand zueinander in der Schlange vor einem Supermarkt / © Carlos Gil/SOPA Images via ZUMA Wire ( dpa )

DOMRADIO.DE: Warum trifft diese Corona-Krise ausgerechnet Spanien so massiv?

Tobias Büscher (Journalist und Buchautor): Spanien ist auf diesen Coronavirus überhaupt nicht vorbereitet gewesen. Das Land ist davon sehr hart getroffen, und die Regierung hat relativ spät reagiert. Das Grundproblem ist, dass die Ärzte, die Krankenschwestern, aber auch die Guardia Civil in Madrid und Umgebung komplett überlastet sind.

Spanien, heißt es, sei jetzt am schlimmsten dran. Aber die Wahrheit ist auch, dass Andalusien, Katalonien, Galizien und das Baskenland davon gar nicht so hart betroffen sind. Die Hälfte der Toten aus Spanien gab es in Madrid und Umgebung. Da ist im Moment das Epizentrum dieses Virus.

DOMRADIO.DE: Am 31. Januar ist der erste Fall einer Ansteckung mit dem Coronavirus in Spanien bestätigt worden. Am 8. März noch gab es in den Metropolen Grossveranstaltungen. Da hat die Regierung offenbar zu spät reagiert. Warum?

Büscher: Das ist richtig. Es ist so, dass es auch hier einen Unterschied zwischen Madrid und den anderen Regionen gibt, die da schneller darauf reagiert haben. Santiago de Compostela, die galizische Hauptstadt zum Beispiel, war viel schneller dran.

Am 8. März war der Weltfrauentag. Der war lange vorbereitet worden. Und das Dramatische für den Regierungschef Pedro Sánchez ist, dass seine Frau sich an diesem Tag bei einer Großveranstaltung ebenfalls infiziert hat.

Sie müssen das so sehen: Madrid ist das wirtschaftspolitische Zentrum Spaniens und der Regierungschef, der stark unter Druck steht in der Minderheitsregierung, hat zu lange gezögert. Diesen Vorwurf kann man ihm durchaus machen. Nur, wer hat damals kommen sehen, was jetzt auf uns hereinbricht? Er hat immerhin früher die Kitas und die Schulen geschlossen als wir in Deutschland – das muss man ihm zugute halten.

DOMRADIO.DE: Sie haben ja viele Kollegen und Freunde vor Ort. Was erzählen die Ihnen gerade?

Büscher: Die Lage ist insofern entspannt, als die Spanier, die ich kenne, nicht wirklich mit Angst zu tun haben – bis auf einen Fall. Ich habe mich vor kurzem mit einer Pferdeflüstererin aus Galizien unterhalten, die seit Tagen schon ihre Wohnung nicht verlassen darf. Es sei denn, sie kann noch einkaufen gehen. Eine Soziologin aus Madrid, mit der bin ich in Kontakt, bringt ihrer Tochter jetzt erst einmal Paella-Kochen bei, um irgendwie die Zeit zu überbrücken. Das klappt ganz gut.

Sorgen mache ich mir um einen Kumpel aus Valencia, der als Guardia Civil arbeitet. Die 80.000 ziemlich militärisch geprägten Polizisten dort stehen unter einem erheblichen Druck. Sie haben keine hygienischen Mittel: Handschuhe fehlen, Masken fehlen, und es gab schon mehrere Tote innerhalb der Guardia Civil, die ausschließlich inzwischen für Zivilschutz zuständig sind. Die sind so hart dran, dass die Regierung inzwischen sogar das richtige Militär bei Straßenkontrollen einsetzt.

DOMRADIO.DE: Ist es denn so, dass die Spanier auf die Einschränkungen noch massiver reagieren, als es hierzulande ist? Oder machen die bereitwillig mit?

Büscher: Die machen sehr bereitwillig mit. Dieser Bekannte bei der Guardia Civil hat mir glaubhaft versichert, dass in ganz Spanien keiner auf die Idee gekommen sei, Corona-Partys zu machen. Als ich ihm davon erzählt habe, fragte er: "Was? Ihr Deutschen macht so was?" Das konnte er gar nicht glauben.

Die gehen schon seriös mit den Dingen um. Aber: Die Spanier lieben so sehr ihre Tapas-Bar, gehen so gerne gemeinsam raus, gehen auch nie alleine wandern – und jetzt sind sie dazu gezwungen, zu Hause zu bleiben. Das macht nicht jeder. Da gibt es durchaus auch noch die eine oder andere Grillparty jetzt bei dem schönen Wetter.

Nur, was mein Bekannter bei der Guardia Civil mir da erzählt hat, ist, dass es Einzelfälle sind und die Spanier sehr ruhig, sehr gelassen im Moment damit umgehen – trotz dieser fürchterlich hohen Zahl an Infizierten in diesem Land.

DOMRADIO.DE: Spanien hat nach der Wirtschaftskrise 2008, so heißt es jedenfalls, unter anderem die Ausgaben im Gesundheitssektor massiv heruntergefahren. Ist das etwas, wovon wir jetzt auch die Folgen sehen?

Büscher: Ja, aber das konnte man ja nicht vorhersehen. Im Jahr 2008 ging das los. Die Immobilienkrise hat das Land durchgeschüttelt, und das hat dazu geführt, dass die Verschuldung gestiegen ist und die EU gesagt hat: So, jetzt spart ihr mal schön. Das haben sie mit Italien auch so gemacht.

Seit 2008, um mal konkrete Zahlen zu nennen, sind in wenigen Jahren die Stellen der Ärzte, in Madrid und Umgebung zum Beispiel, nicht mehr ersetzt worden, wenn jemand in Rente gegangen ist. Das hatte zur Folge, dass es in wenigen Jahren schon 3.000 Stellen weniger gab. Und heute fehlen im ganzen Land über 5.000 Ärzte und Krankenpfleger. Die sind komplett überlastet, die haben Notschichten noch und nöcher – irgendwann brechen sie zusammen.

Ganz nebenbei: Eine Ärztin, die ich kenne, die in Madrid im Krankenhaus arbeitet, sagte, der Durchschnittslohn liegt für einen ausgebildeten Arzt im Job seit Jahren bei 2.500 Euro im Monat. Auch das hat mit den Sparmaßnahmen zu tun. Und die rächen sich jetzt, das ist ganz klar.

DOMRADIO.DE: Nehmen wir mal an und gehen wir davon aus, dass sich diese Corona-Krise irgendwann etwas entspannen wird. Was für Folgen wird diese Krise langfristig für das Land Spanien haben, gerade auch im Hinblick auf Tourismus?

Büscher: Kurzfristig besteht erst einmal die Gefahr, dass die Restaurantbesitzer, die Köche, die Hotelbetreiber, die nicht in Ketten arbeiten, anders als in Deutschland kaum unterstützt werden können. Spanien ist gerade dabei gewesen, wieder in die Gänge zu kommen, und der Tourismus ist dort extrem wichtig. Der liegt jetzt brach – alles hat zu. Das ist kurzfristig so.

Langfristig nehme ich an, dass wir insgesamt alle unser Reiseverhalten etwas verändern werden. Es ist gut möglich, dass dieses Virus auch dafür sorgt, dass wir wahrscheinlich etwas nachhaltiger reisen werden. Diesen Flug mal eben für ein Wochenende nach Madrid, der jetzt nicht geht – da stellt sich dann auch die Frage, ob der überhaupt nötig ist.

Wenn das Ganze sich jetzt nicht zu viele Monate zieht, wobei man das ja befürchten muss, dann wird es auf jeden Fall so sein, dass wir in Spanien zumindest kaum noch einer Information, einem Reisebuch glauben dürfen, wenn darin ein kleines Hostal in Bilbao oder Andalusien beschrieben wird, weil es gut sein kann, dass es das dann gar nicht mehr gibt.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Coronavirus - Spanien / © Álex Zea/Europa Press (dpa)
Coronavirus - Spanien / © Álex Zea/Europa Press ( dpa )
Quelle:
DR