Das Thema ist - mit Verlaub - ein alter Hut, der nicht nur im Sommerloch auftaucht: Immer wieder wird in Deutschland über eine allgemeine Dienstpflicht gestritten - mit wenig Konsequenzen. Am Freitag hat der SPD-Fraktionsvize im Bundestag, Dirk Wiese, erklärt, dass die SPD nach der Sommerpause einen sozialen Pflichtdienst voranbringen wolle - eine Ankündigung, die in seiner eigenen Fraktion Verwunderung auslöste.
Mehr Respekt im Umgang
Wiese sagte der Düsseldorfer "Rheinischen Post": "Wir brauchen wieder mehr Respekt im Umgang und ein stärkeres Miteinander im Land." Beides schwinde "im täglichem Umgang und digital, in Freibädern, beim Nichtbilden von Rettungsgassen, im Alltag oder bei AfD-Trollen im Internet".
Pflichtzeit könne auch drei Monate dauern
Wiese verwies auf das Engagement von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für eine Pflichtzeit. Es gehe insbesondere um die Frage, wann ein solcher Dienst absolviert werden könnte und wer alles in Frage komme. Klar sei aber: "Eine soziale Pflichtzeit muss dabei kein ganzes Jahr andauern - aber doch mindestens drei Monate", sagte Wiese.
Durch Steinmeiers Amtszeit zieht sich diese Forderung wie ein Roter Faden. Für den Erhalt von Demokratie und Gesellschaft sei es förderlich, ein Pflichtjahr einzuführen, statt wie derzeit auf freiwilligen Dienst zu setzen, so das Staatsoberhaupt im Mai. Zwar sei auch der tägliche Dienst im Ehrenamt wichtig, allerdings seien es zumeist dieselben Menschen, die ihn vielerorts tragen, erklärte Steinmeier.
Ehrenamt fördert Austausch und Empathie
Der Bundespräsident sieht einen Pflichtdienst als Brücke, um die Spaltung der Gesellschaft aufzuhalten: "Je weniger wir mit Menschen zu tun haben, die anders leben als wir, desto mehr schwinden Aufmerksamkeit, Verständnis und Respekt; desto mehr wachsen Misstrauen, Ängste, Vorurteil, Ressentiments; desto anfälliger werden wir für das Gift des Populismus." Ein Pflichtdienst könne dazu beitragen, dass man nicht nur in der eigenen Blase lebe.
Laut Umfrage 62 Prozent dafür
Auch die Bundesbürger sind laut Umfragen mehrheitlich für einen Pflichtdienst. Laut dem im Juni veröffentlichten Ehrenamtsmonitor der Malteser sprachen sich 62 Prozent der Befragten für einen verpflichtenden Gesellschaftsdienst aus; unter den Befragten unter 25 Jahren waren es 45 Prozent.
Das Thema ist ein Dauerbrenner: Seit Deutschland 2011 die Wehrpflicht ausgesetzt und den Zivildienst abgeschafft hat, wird immer wieder darüber diskutiert. Zuletzt forderte die CDU auf ihrem Parteitag im September einen Pflichtdienst.
Kirchenvertreter äußern Bedenken
Dabei gibt es in allen Parteien Befürworter und Gegner einer Pflichtzeit. Gleiches gilt für die Kirchen, in denen die Wohlfahrtsverbände Ablehnung signalisieren, während etwa aus dem Kreis der Militärbischöfe und der Soldatenverbände durchaus Zustimmung formuliert wird.
Neben pragmatischen werden auch gravierende rechtliche Bedenken gegen einen Pflichtdienst vorgebracht. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) und Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) erklärten im vergangenen Jahr, ein staatlicher Eingriff in den Lebenslauf sei so ziemlich das Letzte, was Jugendliche nach der Corona-Pandemie brauchten.
Die Wohlfahrtsverbände - etwa Caritas und Diakonie - sind Unterstützer und Mitträger zahlreicher Freiwilligendienste, die jährlich mehr als 100.000 jungen Erwachsenen, aber auch älteren Menschen, freiwilliges Engagement im In- und Ausland ermöglichen. Aus ihrer Sicht müsste die Bundesregierung hier viel mehr investieren, weil die Nachfrage nach Freiwilligendiensten das Angebot übersteige.
Organisatorische Hürden
Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, verweist zudem auf riesige und kostspielige organisatorische Probleme. "Dann müsste man 700.000 Schulabgänger jährlich in einen solchen Pflichtdienst hineinstecken", sagte er. Darunter dann auch viele, die überhaupt keine Lust etwa auf eine Tätigkeit in einem Pflegeheim hätten und vielleicht auch ungeeignet seien.
Nicht von der Hand zu weisen sind auch verfassungsrechtliche Bedenken. Nach Meinung von Rechtsexperten ist es nur dann möglich, Bürger zu einem Zwangsdienst einzuberufen, wenn das für die Verteidigung des Landes notwendig ist. Für eine allgemeine Dienstpflicht müsste also das Grundgesetz geändert werden.