Speyerer Generalvikar drängt auf Reform des Arbeitsrechts

"Was im Privaten passiert, geht uns als Kirche nichts an"

Während queere Menschen in der Mehrheitsgesellschaft langsam akzeptiert sind, müssen sie in der katholischen Kirche immer noch um ihren Job fürchten. Zeit, dass sich das ändert, findet der Speyerer Generalvikar Andreas Sturm.

Mitarbeiter der katholischen Kirche outen sich als queer / © Guido Kirchner (dpa)
Mitarbeiter der katholischen Kirche outen sich als queer / © Guido Kirchner ( dpa )

DOMRADIO.DE: Nun haben wir in der letzten Woche zahlreiche Bischöfe und Generalvikare gehört, die alle beteuern, dass eine von der Norm abweichende Sexualität in ihren Bistümern kein Problem ist. Gibt es also kein Problem? Wahrscheinlich schon.

Andreas Sturm (Generalvikar des Bistums Speyer): Das haben ja die Menschen sehr deutlich gemacht, wie angstvoll sie leben, wie viel Sorgen sie sich machen. Das hat mich wütend, traurig gemacht, das hat mich entsetzt. Und es hat mir gezeigt, dass unser Arbeitsrecht nicht nur einer Reform unterzogen, sondern eigentlich radikal anders gedacht werden muss. So kann das nicht gehen.

DOMRADIO.DE: Wie kommt es aber dann, dass so viele sagen, bei ihnen sei das kein Problem. Das kann ja eigentlich nicht sein.

Katholische Verbände solidarisieren sich mit katholischer queerer Initiative

Rund 20 katholische Verbände und Organisationen solidarisieren sich mit queeren Katholikinnen und Katholiken. "Es darf nicht länger hingenommen werden, dass Menschen in kirchlichen Kontexten aus Angst gegenüber Kirchenvertreter*innen ein Schattendasein führen müssen, wenn sie nicht dem von der Kirche normierten Geschlechterbild entsprechen", heißt es in einer am Montag veröffentlichten gemeinsamen Erklärung. Anlass sind Äußerungen der Betroffenen zu ihrer Sexualität beziehungsweise ihrer Geschlechteridentität im Rahmen einer bundesweiten Kampagne.

Homosexuelles Paar mit Armbändern in Regenbogenfarben / © chayanuphol (shutterstock)
Homosexuelles Paar mit Armbändern in Regenbogenfarben / © chayanuphol ( shutterstock )

Sturm: Es gibt ja genügend Fälle. Ich habe mich ja auch offen zu Wort gemeldet und gesagt, dass sie natürlich sagen können, dass sie homosexuell sind. Trotzdem bleibt ja die Angst. Denn jeder weiß, der Sturm mag jetzt vielleicht so sein, dass er nichts macht, nichts unternimmt, das aussitzt. Aber wie lange ist der vielleicht Generalvikar? Dann kommt der nächste Generalvikar, der denkt dann wieder anders und dann geht wieder alles von vorne los.

Diese Situation von Angst, von Sorge, die muss durchbrochen werden. Und das geht nur, indem wir uns die Grundordnung in aller Klarheit vornehmen und sagen: Was ist möglich und was ist eben nicht möglich? Ich finde, was im privaten Bereich bei Mitarbeitenden passiert, geht uns als Kirche nichts an und das kann kein Grund sein, dass wir irgendjemandem den Arbeitsvertrag kündigen.

DOMRADIO.DE: Sie haben ja schon für großes Aufsehen gesorgt, als Sie im vergangenen März nach dem offiziellen Nein aus Rom angekündigt haben, auch weiterhin homosexuelle Paare zu segnen. Was machen Sie, wenn zum Beispiel jetzt ein kirchlicher Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin eine eingetragene Partnerschaft eingehen will?

Sturm: Ich hatte die Situation ein einziges Mal in meiner Zeit. Wir haben nichts gemacht. Wir haben einfach die Sache so laufen lassen, wie sie gelaufen ist. Aber genau das ist ja der Punkt. Es kann ja nicht sein, dass ich jetzt so entscheide, sondern wir brauchen eine Lösung für die Kirche an sich. Wir brauchen eine Lösung für die Mitarbeitenden an sich.

DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie würden jetzt nicht sagen, dass man einfach darüber hinwegsieht, sondern Sie fühlen sich schon irgendwie auch verpflichtet, dass man das mal thematisiert, dass da was geändert werden muss?

Sturm: Ja, wir brauchen eine grundsätzliche Neubewertung von Homosexualität, von queer sein in Kirche, in der Theologie und dann im letzten eben auch in unserer Grundordnung. Die passt einfach nicht mehr zu der Welt. Da braucht es eine grundsätzliche Neubewertung und danach muss das eben Folgen haben für Menschen.

DOMRADIO.DE: Die Kampagne fordert ja Reformen beim kirchlichen Arbeitsrecht, damit sexuelle Orientierung und die geschlechtliche Identität eben kein Kündigungsgrund mehr sind. Nun hat Bischof Jung schon angekündigt, dass das sehr kompliziert ist und lange dauern wird. Wie schätzen Sie das ein: Ist da wirklich so schnell keine Lösung in Sicht?

Sturm: Ich glaube auch, dass grundsätzlich bei uns ja alles immer extrem langsam geht. Aber ich glaube, wir haben gar nicht die Zeit, wir können uns die Zeit nicht nehmen. Wenn eine Lawine den Berg runter rollt, kann ich auch nicht erst überlegen: Wie können wir jetzt hier retten? Sondern ich finde, dann muss man klar und deutlich loslegen.

Ich verstehe Bischof Jung da. Das hat die Vergangenheit immer gezeigt, dass wir da sehr lange gebraucht haben. Aber ich glaube, wir sollten hier jetzt grundsätzlich Dinge ganz anders angehen. Und ich finde, alle die Bereiche, die das Privatleben der Mitarbeitenden betreffen, gehen uns einfach nichts an. Ich glaube, das könnte man schnell lösen.

Generalvikar Andreas Sturm

"Also wenn da keine Bewegung kommt, dann kann ich auch die Menschen verstehen, die sagen, dass wir in dieser Welt nichts mehr verloren haben."

DOMRADIO.DE: Ein großer Reformprozess ist ja auch der Synodale Weg hier in Deutschland, in der katholischen Kirche. In dieser Woche geht der weiter. Kann da Bewegung bei diesem Thema kommen? Oder würden Sie sagen, dass da die innerkirchlichen Widerstände einfach zu groß sind?

Sturm: Da muss Bewegung kommen. Also wenn da keine Bewegung kommt, dann kann ich auch die Menschen verstehen, die sagen, dass wir in dieser Welt nichts mehr verloren haben. Ich glaube, es ist höchste Zeit und wir haben viel zu lange gewartet. Viele Themen sind schon auf der Würzburger Synode Thema gewesen und wir haben all die Jahrzehnte verschlafen. Jetzt müssen wir da ran und wir können da nicht mehr warten.

Das Interview führte Michelle Olion.

Quelle:
DR