Sportler und Asienexperten lehnen Olympia-Boykott einhellig ab - Franz Alt fordert im domradio Aufschrei der Welt

Im Schatten Tibets

China erhitzt derzeit die Gemüter. Wenige Monate vor den Olympischen Spielen ist das Thema Menschenrechtsverletzungen im Reich der Mitte allgegenwärtig. Auch in der katholischen Akademie "Die Wolfsburg" in Mülheim an der Ruhr wurde am Dienstagabend über "Beijing 2008 - Im Schatten der Spiele" leidenschaftlich diskutiert. Im domradio betont der Publizist und Dalai Lama-Berater Franz Alt die unverändert wichtige Rolle des Oberhaupts der Tibeter.

Autor/in:
Martina Gnad
 (DR)

Alt wirft China "kulturellen Völkermord" vor. Die Chinesen würden keinen Milimeter nachgeben. Die Tibeter würden nur das fordern, was in jedem zivilisierten Land selbstverständlich sei: mehr kulturelle, religiöse und sprachliche Autonomie. China zerstöre eine der älteste Hochkulturen der Welt. Da müsse die ganze Welt aufschreien und sagen "Das geht nicht, das ist eine Sauerei, das ist unmenschlich". Deshalb sei eine Unterstützung der westlichen Welt wichtig. Angela Merkel lobt Franz Alt für ihren Mut, auf die Menschenrechte in China zu pochen und den Dalai Lama erneut empfangen zu wollen.

Tagung: Auch Kritik am "Mythos Tibet"
Die Tagung war in Mülheim von langer Hand geplant. Nun wurden die Organisatoren von den aktuellen Entwicklungen eingeholt. Doch die Referenten stellen sich den veränderten Bedingungen und sparen die Unruhen in Tibet sowie die Proteste während des Fackellaufs weder in Statements noch in der Diskussion mit dem Publikum aus.

«Das Bild des Westens vom reinen, friedlichen Tibet ist ein Mythos», sagt Thomas Heberer, Professor für Ostasienwissenschaften an der Uni Duisburg-Essen. Auch sei Tibet de facto kein besetztes Land, weil es von der Völkergemeinschaft nie als eigenständiger Staat anerkannt worden sei. Was in China aber völlig fehle, sei ein Bewusstsein für ethnische Minderheiten, für ihre Wünsche und kulturellen Eigenarten.

Die Proteste des Westens hätten darum erst recht zu einer harten Linie Chinas geführt. Heberer: «Innenpolitisch hat Olympia China noch nicht geschadet. Die Bevölkerung steht geschlossener hinter der Regierung als zuvor.» Einige der rund 100 Tagungsteilnehmer drehen sich fragend zu der chinesischen Zuhörerin um. Deren Miene aber lässt nicht erkennen, was sie empfindet.

Den Sport vertreten an diesem Abend Walter Schneeloch, Vizepräsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), und Dietmar Langusch, Bundestrainer des deutschen Rudernachwuchses. Langusch war im Sommer 2007 mit der Jugendnationalmannschaft bei der Juniorenolympiade in Peking. Er berichtet begeistert von einer perfekten Organisation, von modernsten Wettkampfstätten, von herzlichen Gastgebern. Es hätte ein wunderbares Sportfest sein können - wäre da nicht das negative Medienecho gewesen, so Langusch. «Darüber habe ich mich richtig geärgert.» Denn über die sportlichen Leistungen der Schützlinge sei kaum berichtet worden.

Ähnlich argumentiert Walter Schneeloch: «Es ist heuchlerisch, Sportler, die bei Wettkämpfen antreten möchten, zu Komplizen der chinesischen Führung zu erklären.» Darum hält der Funktionär einen Boykott der Spiele für falsch. Noch deutlicher wird Heberer: «Die Politiker sollen endlich Verantwortung übernehmen und selbst in China vorsprechen.»

Wissenschaft und Sport sind sich an diesem Abend einig: Dialog statt Konfrontation ist für die Referenten der einzig gangbare Weg. Auch wüssten die Leute in Europa viel zu wenig über die Realitäten in China, heißt es immer wieder. Und doch scheint auch die Zuhörer in Mülheim fast nur der Tibetkonflikt zu interessieren: Als der Duisburger Ostasien-Kulturgeograph Winfried Flüchter über Zwangsenteignungen während der Baumaßnahmen für Olympia referiert, gibt es keinerlei Nachfragen.