domradio.de: In Ihrem Brief greifen Sie den bayrischen Ministerpräsidenten Seehofer in klaren Worten an, fordern ihn zur Umkehr seiner Politik auf. Was hat Sie dazu bewogen?
Sr. Katharina Ganz (Generaloberin der Dienerinnen der Heiligen Kindheit Jesu, Kloster Oberzell): Seit vielen Wochen und Monaten bekommen wir mit, wie sich gerade aus den Reihen der CSU eine Rhetorik breit macht, die die Menschen, die in Not sind und zu uns kommen, nahezu kriminalisiert. Es ist von "Notwehr" die Rede. Außerdem wurde der ungarische Ministerpräsident Orban auf Kloster Banz eingeladen. Das alles erweckt auf uns den Eindruck, dass die Verhältnisse umgekehrt werden. In Wirklichkeit ist nicht unser deutsches Boot voll, sondern die Boote der Flüchtlinge, die übers Mittelmeer hierher kommen, sind es. Die Menschen sind in lebenbedrohlichen Situationen aus ihrer Heimat geflohen.
Wir wollen darauf hinweisen, dass diese Rhetorik aus unserer Sicht geistige Brandstiftung ist, die die Menschen in unserem Land polarisiert. Statt dass sich die Politik geschlossen hinter die Bundeskanzlerin stellt und gemeinsam diese zugegebenermaßen schwierige Situation bewältigt, wird auf Wahlkampf gesetzt. Herr Seehofer hat sich fast wie ein Gegen-Kanzler positioniert und Sigmar Gabriel seine Kanzlerkandidatur ausgerufen. Das hat in unseren Reihen zunehmend Unmut erzeugt. Wir verstehen nicht, warum hier nicht geschlossen entschieden und gehandelt wird - zum Wohl der bei uns Ankommenden.
domradio.de: Es gibt zunehmend auch die andere Seite derer, die sich gegen Flüchtlinge wenden oder zumindest sagen, dass der Zuzug begrenzt werden muss. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung, ist die noch umzukehren?
Sr. Katharina: Ich glaube, dass es in schwierigen Situationen wichtig ist, dass Politik die Menschen beruhigt und ihnen Orientierung gibt. Ihnen auch Ideen an die Hand gibt, wie die schwierige Lage bewältigt werden kann. Wenn sich Politiker zum Sprachrohr von Menschen machen, die im übertragenen Sinne Brandstifter sind oder sogar Flüchtlingsheime in Brand setzen, dann kann die Situation nicht in einer menschenwürdigen Art und Weise bewältigt werden. Das macht uns Sorgen.
Wir haben vor einigen Tagen den Gedenktag an die Reichpogromnacht begangen, wir hatten auch den Gedenktag an den Fall der Mauer: Wir wissen doch in unserem Land, wie wichtig es ist, friedliche Lösungen zu schaffen. Menschen nicht auszugrenzen, sondern Wege zu suchen, die ein solidarisches Miteinander begründen.
domradio.de: Herr Seehofer gehört der Christlich-Sozialen Union an. Würden Sie soweit gehen, zu sagen, dass seine Politik derzeit mit praktiziertem Christentum nicht allzu viel zu tun hat? Oder was meinen Sie, wie der Brief bei Herrn Seehofer ankommt?
Sr. Katharina: Wir hoffen, dass dieser Brief Herrn Seehofer und andere Politiker aufrüttelt. Dass sie zu einer Umkehr bewogen und sich der Werte, die im Namen der Partei stecken, bewusst werden.
Das Interview führte Dr. Christian Schlegel.