Staat soll laut Experten bei Aufarbeitung mehr mitwirken

Kirchen aber nicht aus Verantwortung entlassen

Bei der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in den Kirchen muss sich der Staat nach Auffassung von Pater Klaus Mertes mehr engagieren. Auch der Sprecher der Betroffenen-Initiative "Eckiger Tisch" sieht den Staat gefordert.

Ein Plakat mit der Aufschrift Solidarität mit den Missbrauchsopfern / © Julia Steinbrecht (KNA)
Ein Plakat mit der Aufschrift Solidarität mit den Missbrauchsopfern / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Der Staat müsse die Rolle einer "unabhängigen und vermittelnden Instanz" zwischen der Kirche als Täterorganisation und den von sexualisierter Gewalt betroffenen Menschen übernehmen, forderte der Jesuit Mertes am Freitag in Berlin auf einem Podium zu dem Thema.

Klaus Mertes / © Gordon Welters (KNA)
Klaus Mertes / © Gordon Welters ( KNA )

Bei den bisherigen Maßnahmen zur Aufarbeitung sei die Kirche den Betroffenen weithin nicht "auf Augenhöhe begegnet".

Kirchen nicht aus Verantwortung entlassen

Als damaliger Rektor des Berliner Canisius-Kollegs hatte Mertes frühere Fälle von sexualisierter Gewalt an Schülern des Jesuitengymnasiums bekannt gemacht. Dies gab den Anstoß, dass der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche in Deutschland insgesamt aufgedeckt wurde. Auch die evangelische Kirche befasste sich anschließend mit sexualisierter Gewalt in ihren Einrichtungen.

Mertes stellte zugleich klar, dass der Staat die Kirchen nicht aus ihrer Verantwortung entlassen und nicht anwaltschaftlich an die Stelle der Betroffenen trete dürfe. Vielmehr solle er die Betroffenen bei ihrer Selbstorganisation unterstützen und einen institutionellen "Rahmen" setzen, damit eine Aufarbeitung "nach demokratischen und rechtsstaatlichen Bedingungen" erfolgen könne.

Katsch sieht Staat gefordert

Auch der Sprecher der Betroffenen-Initiative "Eckiger Tisch", Matthias Katsch, betonte, eine stärkere staatliche Förderung solcher Vereinigungen sei dringend notwendig. Er begrüßte, dass der "Eckige Tisch" in diesem Jahr erstmals Mittel aus dem Bundeshaushalt bekomme.

Matthias Katsch / © Julia Steinbrecht (KNA)
Matthias Katsch / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Katsch erklärte, ein staatlicher Rahmen bei der weiteren Aufarbeitung könne gute Ansätze, die es in der Kirche dazu gebe, zusammenfassen.

Unerforschte Aspekte untersuchen

Die Regensburger Pastoraltheologin Ute Leimgruber erklärte, sie erwarte von einem stärkeren staatlichen Engagement auch Mittel für unabhängige Studien über bislang unerforschte Aspekte sexualisierter Gewalt. Als Beispiel nannte sie erwachsene Frauen als Opfergruppe.

Wolfgang Thierse / © Christoph Soeder (dpa)
Wolfgang Thierse / © Christoph Soeder ( dpa )

Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse warnte davor, dass die unverzichtbare Aufarbeitung von Missbrauch in der Kirche dazu führen könne, die gesamtgesellschaftliche Dimension des Problems zu missachten.

Das Podium fand im Rahmen einer bis Samstag dauernden Tagung über "Religionspolitische Reformperspektiven für die Kirchen" statt.

Eckiger Tisch

Eckiger Tisch ist ein gemeinnütziger Verein, der die Interessen von Betroffenen sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen speziell im Kontext der Katholischen Kirche vertritt. Im Rahmen unserer Möglichkeiten beraten und unterstützen wir Betroffene. Wir stellen Öffentlichkeit her und versuchen auf Politik, Kirche und Gesellschaft einzuwirken, damit alles getan wird zur Überwindung von sexuellem Kindesmissbrauch durch Kleriker.

Leere Stühle in einer Kirche / © MASSIMILIANO PAPADIA (shutterstock)
Leere Stühle in einer Kirche / © MASSIMILIANO PAPADIA ( shutterstock )
Quelle:
KNA