Lautstark und oft hat der maronitische Patriarch Kardinal Bechara Rai in den vergangenen Monaten seine Forderung vertreten, den Libanon zu einem neutralen Staat zu erklären. Spätestens als er am Wochenende nachlegte und die Räumung aller "Waffen- und Sprengstofflager in den Wohngebieten Libanons" forderte, schien klar: Der einflussreiche Kirchenmann hat mit seinen Forderungen direkt die mächtige Hisbollah, die Partei und Miliz der Schiiten, im Visier. Der Graben zwischen Patriarchat und Hisbollah scheint sich seither zu vertiefen.
Rai strebe nach einer Dämonisierung der Hisbollah für die Explosion im Beiruter Hafen, schrieb "Al-Akhbar" als Reaktion auf Rais Predigt. Die Zeitung steht der Hisbollah nah. Dabei zögere Rai nicht, "die israelische Propaganda zu übernehmen, die Hisbollah beschuldigt, Waffen in Wohnvierteln zu lagern".
"Genug Kriege, Kämpfe und Konflikte"
Rai forderte wiederholt, der Libanon solle den Konflikten der Region fernbleiben. "Genug Kriege, Kämpfe und Konflikte, die wir nicht wollen!" Mit dieser "Förderung des Friedens" mit dem Feind Israel habe der Patriarch die Grenze überschritten, so das Blatt. Ausländischen Medien wirft die Zeitung vor, einen Feldzug gegen Hisbollah, aber auch gegen die christliche "Freie Patriotische Bewegung" (FPM) von Staatspräsident Michel Aoun zu führen, der vor 13 Jahren eine politische Allianz mit der Hisbollah einging.
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. "Wir waren nicht überrascht über die heutigen hasserfüllten und unfairen Schlagzeilen der Zeitung 'Al-Akhbar', die einmal mehr die wichtigsten religiösen und patriotischen Figuren im Libanon angegriffen hat", hieß es in einer Facebook-Stellungnahme des maronitischen Medienausschusses.
"Die Gesprächskanäle sind offen"
Libanesische Medien berichteten unterdessen unter Berufung auf gut informierte Quellen, letztlich suche die Schiiten-Partei keinen politischen Streit mit Rai. Die Gesprächskanäle seien offen. Man arbeite daran, die Meinungsverschiedenheiten einzugrenzen, um sie nicht in einen neuen schiitisch-christlichen Konflikt eskalieren zu lassen, wie er im libanesischen Bürgerkrieg (1970-1989) Tausende Menschenleben gefordert hatte.
Auch Vertraute aus dem Umfeld des Patriarchen bestritten laut der Zeitung "Sharq il-awsat" Bestrebungen, die Beziehungen zur Hisbollah abzubrechen. Die Türen des Patriarchates stünden offen; Rai sei zum Gespräch mit allen bereit, die Souveränität und Unabhängigkeit des Landes respektieren.
"Forderung der großen Mehrheit"
Von einer Sackgasse oder einer Scheidung könne man nicht sprechen, sagte der maronitische Weihbischof in Joubbe, Sarba und Jounieh, Joseph Naffah, der Zeitung "Orient Le Jour" (Mittwoch). Die Frage der Neutralität des Libanon sei weder als Waffe gegen die Hisbollah aufgeworfen worden, noch sei Patriarch Rai der geistige Vater des Neutralitätsvorschlags.
"Es ist eine Forderung einer großen Mehrheit der Libanesen, die gekommen sind, um dem Patriarchen, dessen Türen allen offen stehen, ihre Beschwerden vorzutragen, so Naffah. "Es waren die Stimmen der Menschen, die er wiedergeben wollte." Die Stimmen derer, die auch vermehrt die Hisbollah für die katastrophale Lage im Libanon verantwortlich machen. Unter den Pappfiguren, die wütende Demonstranten in Beirut symbolisch an den Galgen hängten, war auch Hisbollahführer Hassan Nasrallah.