DOMRADIO.DE: Sie sehen im antiliberalen und völkisch-nationalistischen Denken Parallelen zur Weimarer Republik in ihrer Spätphase. Im Prinzip sind Sie doch eigentlich selber ein bisschen populistisch, oder? Wenn Sie das so sagen, dass wir gerade wie am Ende der Weimarer Republik stehen, weil wir ja wissen, worin das geendet hat.
Dr. Andreas Püttmann (Politikwissenschaftler): Populistisch gewiss nicht, dafür können zu wenige mit „Weimar“ etwas anfangen. Eins zu eins wiederholen sich historische Entwicklungen und Konstellationen nie, nichts kommt genauso wieder. Ich bin mir der Unterschiede zu damals sehr wohl bewusst: Etwa, dass wir heute einen breiten Wohlstand haben, eine bessere Verfassung und als Land eine respektierte Rolle in der Welt. Das sind große Unterschiede.
Aber es weisen auch andere, etwa der renommierte Historiker Paul Nolte, darauf hin, dass wir auch Ähnlichkeiten mit den späten 1920er und frühen 1930er Jahren haben: Etwa die massive Re-Ideologisierung, Polarisierung und Radikalisierung in der Gesellschaft, die Hass- und Drohattacken, die Gewalt und Übergriffigkeit auch gegenüber Journalisten, wie ich es selbst schon erlebt habe, und vor allem die Entwicklung des Parteiensystems: Das dramatische Abschmelzen der Sozialdemokratie von rund 30 auf 20 oder noch weniger Prozent – genau die Zahlen der 1920er und 1930er Jahre; die Schwäche der Liberalen; die Etablierung einer deutschnationalen Volkspartei mit Abgrenzungsschwäche gegenüber den Rechtsextremen. Und dann die Sonderrolle der Bayerischen Volkspartei, die bei den Reichspräsidentenwahlen 1925 nicht den Zentrumskandidaten Wilhelm Marx unterstützt hat, sondern den Kandidaten der völkischen Nationalisten Hindenburg, obwohl der preußischer Protestant war. Die BVP hat der Demokratie damals frühe Sargnägel eingeschlagen. Daran kann man sich jetzt schon erinnert fühlen. Kippt jetzt auch die CSU, dann bleibt in der Mitte wieder eine „Weimarer Koalition“ von Zentrum, Sozialdemokraten und Linksliberalen – heute als „Grüne – übrig, die eingekeilt ist von einer radikalisierten Rechten und Linken. So kann man schon ein Déja-vu bekommen, wenn man sich das Agieren der CSU anschaut.
DOMRADIO.DE: Reden wir über die aktuelle Situation. CSU und CDU liegen im Clinch wegen der Asylpolitik. Die CSU will, dass Asylbewerber an den Grenzen unter Umständen abgewiesen werden, Merkel mit der CDU ist dagegen. Jetzt ist es so, dass der aktuelle Deutschlandtrend im Prinzip eher der CSU in Bayern Recht gibt, weil eine Mehrheit der Deutschen auf die Verschärfung der Asylpolitik hofft. Da müsste doch eigentlich die Partei dem Volk dienen und dann müssten doch alle dem zustimmen, oder?
Püttmann: Vorab: Wesentliche Entscheidungen in der Geschichte der Bundesrepublik sind gegen Volksmehrheiten getroffen worden. Denken Sie etwa an die Nachrüstung. Die hätten wir nie bekommen und auch nicht die folgende beidseitige Abrüstung als Vorstufe der Wiedervereinigung, wenn nicht Helmut Kohl gegen die Bevölkerungsmehrheit regiert hätte. Auch bei der Wiederbewaffnung, der Einführung der Sozialen Marktwirtschaft und des Euro gab es Polarisierungen. Das kann nicht das Argument sein.
In der konkreten Sache sind die CSU-Positionen nicht abwegig. Wenn 20 Prozent der Bevölkerung der Europäischen Union – die Deutschen – 60 Prozent der Flüchtlinge aufnehmen, und wenn man sich über einen langen Zeitraum wegen der Obstruktion einiger Mitgliedsstaaten nicht auf eine europäische Lösung einigen kann, dann kann man zumindest als Verhandlungsstrategie die Position vertreten: "Wir zeigen jetzt auch mal die Instrumente vor und dass auch wir eigenständig handeln können." Das ist nicht mein Hauptproblem mit der CSU, sondern der gesamte politische Hintergrund: Dass man Orbán zur Klausurtagung einlädt, zu Putin pilgert, die „konservative Revolution“ ausruft - historisch eine antidemokratische Bewegung -, das Kreuz missbraucht für antiislamische Identitätspolitik und verbale Scharfmacherei betreibt. Söder sagt, jetzt müsse endlich auch Deutschland "eigene Duftmarken setzen". Was sind denn das für Metaphern aus dem Reviergehabe des Tierreichs? Oder zynische Begriffe wie "Asyltourismus"? Gestern bei Illner ließ der Parlamentarische Staatssekretär Mayer gleich in seiner ersten Äußerung Flüchtlinge nur als Mörder und Vergewaltiger vorkommen. Das ist unsäglich. Es ist Ausdruck von Zügellosigkeit, einer Verrohung der Konservativen.
Da sollte man dann doch an die Situation nach dem Krieg erinnern, als Konservative, die in der Weimarer Republik auf breiter Front versagt hatten, kleinlaut bei den Christdemokraten untergeschlüpft sind. Jetzt, nach 70 Jahren, meinen sie wohl wieder stark genug zu sein, um, auf Deutsch gesagt, "die Sau raus zu lassen". Sie widersprechen und überbieten sich auch selbst, wo sie doch so stolz auf die Ankerzentren waren. Jetzt sind die offenbar wieder nicht genug, sondern man will sofort an der Grenze abweisen. Diesen Überbietungswettbewerb als AfD-Doublette kann die CSU nicht gewinnen.
DOMRADIO.DE: Wenn konservative Politik vor allem wegen der AfD so agiert: Gibt es da eine Lösung? Eine bessere AfD wird die CSU in den Augen der Wähler ja wohl kaum?
Püttmann: Mir kommt da das Märchen vom Hasen und Igel in den Sinn. Im AfD-Strategiepapier vor der letzten Bundestagswahl stand sinngemäß: Wenn die sogenannten Altparteien oder Systemparteien sich auf uns zu bewegen, müssen wir unsere Position noch verschärfen, noch weiter gehende Forderungen stellen. Das heißt, man kann diesen Wettlauf gar nicht gewinnen. Das Nachahmen der AfD hat ja auch bisher der CSU nicht genützt. Wenn sie sagt, Merkel versuche seit zwei Jahren eine europäische Lösung zu finden ohne Erfolg, dann könnte man entgegnen: Und ihr versucht seit zwei Jahren die AfD durch Nachahmen überflüssig zu machen. Das Ergebnis ist: Die AfD liegt bei zwölf Prozent in Bayern. Meine Erwartung ist, dass es der CSU am Wahltag nicht nützen wird. Sie wird die AfD nicht kleinmachen, und sie wird auf lange Zeit nicht mehr alleine in Bayern regieren können. Das heißt, sie richtet viel Schaden an und wird den erhofften Nutzen für sich nicht einfahren.
DOMRADIO.DE: Was kann der Ausweg sein, damit es nicht so weit kommt wie damals mit der Weimarer Republik?
Püttmann: Dafür muss es aus der bürgerlichen Mitte, die ja immer noch weit überwiegend gemäßigt und liberal orientiert ist, eine Mobilisierung geben. Radikale sind immer zehnmal emsiger, zehnmal mehr bereit, Zeit, Geld und Herzblut zu investieren, und sie sind extrem gut vernetzt. Wenn dann die inhaltlich Gemäßigten auch habituell lau sind, wird das nichts mehr mit dem moderaten Klima, das ein Rechtsstaat braucht. Dann können auch Minderheiten von 20 Prozent in der Gesellschaft als kritische Masse ein System ins Rutschen bringen. Daher brauchen wir eine Mobilisierung mit Leidenschaft und auch mit einer Bildungsanstrengung, um uns neu anzueignen, was überhaupt Demokratie und Rechtsstaat bedeuten. Wir brauchen auf gesellschaftlicher Ebene Kräfte - da sind auch die Kirchen sehr wichtig - die Menschen zusammenbringen und nicht zulassen, dass gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen ein Ressentiment Platz greift, das sich bis zum Hass steigern kann. Wir brauchen also Dialog, Integration, aber auch entschiedenen Kampf.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.