DOMRADIO.DE: Wer in Dialog treten will, der muss einander verstehen. Die Juden erinnern mit dem Pessachfest an ihre historische Befreiung aus ägyptischer Knechtschaft – Ist das vielleicht nicht eher ein politisches Fest?
Rolf Steinhäuser (Kölner Weihbischof und Bischofsvikar für die Ökumene und den interreligiösen Dialog): Na ja, Glaube und Leben haben auch immer eine politische Dimension. Und die Juden und Jüdinnen denken sicher daran, dass Gott sie gerettet hat aus der Sklaverei der Ägypter. Inwieweit das jetzt ein exaktes politisches Datum ist, ist noch eine andere Frage. Aber es ist ein Geschehen, das eine politische Dimension hat. Es hat etwas mit Rettung und Befreiung zu tun, und es hat etwas mit Gott zu tun. Israel sagt "Gott ist unser Retter und Befreier". Ich denke, das ist eine entscheidende Kategorie.
DOMRADIO.DE: Mit Befreiung sind wir dann auch wieder bei unserem christlichen Ostern angekommen. Wir feiern die Auferstehung von Jesus Christus. Gibt es da Überschneidungen mit der Feier des Pessachfestes?
Steinhäuser: Einmal ist es auch ein Rettungsfest. Ostern rettet von Tod und Sünde und unser christliches Ostern baut natürlich auf der jüdischen Paschatradition auf. Jesus hat das Abendmahl eingesetzt im Kontext des jüdischen Pessach, als er mit seinen Jüngern ein solches Mahl gefeiert hat. Es gibt unterschiedliche Varianten bei Johannes und bei den drei anderen Evangelisten, an welchem Abend das genau war. Aber das hängt zusammen.
Und die Evangelien sehen ja in Jesus das Lamm Gottes, dessen Blut rettet. Und in der jüdischen Pascha-, oder Pessachtradition wurde das Blut der Lämmer an die Türstürze geschmiert oder eingerieben. Und an den Türen, die mit Blut bezeichnet waren, ging der strafende Engel Gottes vorüber und ließ die Menschen am Leben. Die anderen, die ägyptische Erstgeburt, wurde getötet, um den Pharao zu zwingen, das Volk ziehen zu lassen. Ja, und Jesus? Denken Sie an Johannes den Täufer – der zeigt auf Jesus und sagt: Seht, das Lamm Gottes! Der ist in die Funktion des Lammes gekommen, was sein Leben hingibt, was sein Blut hingibt, um Menschen zu retten. Das ist eine markante gemeinsame Verbindung.
Und noch etwas Wichtiges, was beiden gemeinsam ist – Es ist nicht einfach eine historische Erinnerung, sondern es heißt bei uns am Gründonnerstag im Abendmahlsgottesdienst: Am Abend vor seinem Leiden. Und das ist heute. Also, wir treten in das Jetzt ein, das Geschehen von damals wird für uns jetzt zur bedeutsamen Gegenwart. Und genauso ist das bei den Juden auch.
DOMRADIO.DE: Und wenn es jetzt so ist, dass in diesem Jahr unser christlicher Karfreitag datumsmäßig zusammen fällt mit dem Sederabend der jüdischen Geschwister – Wie kann man das nutzen, um noch mehr auf interreligiösen Dialog zu setzen?
Steinhäuser: "Nutzen" hört sich so verzweckt an, aber ich ahne, in welche Richtung sie zielen. Das hat etwas miteinander zu tun. Das erste ist, dass man darum weiß, dass man sich klar macht wird: Wir feiern am gleichen Abend und wir feiern ein Fest, was mit Rettung und Erlösung zu tun hat. Wir feiern ein Fest, das mit Gott und den Menschen zu tun hat – sich das bewusst zu machen bringt uns natürlich einander näher.
DOMRADIO.DE: Haben Sie selber über Ostern etwas vor, das besonders im Zeichen des jüdisch-christlichen Dialoges steht?
Steinhäuser: Keine konkrete Aktion, ich habe immer in den Predigten darauf hingewiesen und Zusammenhänge hergestellt und auch den Christen deutlich gemacht: Das ist auch unser Fest. Die Kirche sieht sich ja in der Rolle des neuen Volkes Israel, ohne dass das Alte einfach überholt wäre. Wir feiern eben auch unsere Rettung und Erlösung, was Gott damals an Israel, seinem Volk getan hat, das tut er an uns, die wir uns als Volk Gottes verstehen.
DOMRADIO.DE: Diese Zusammenhänge, die sie gerade aufgeführt haben, die sind natürlich immer da. Und diese beiden hohen Feste, das christliche Ostern und das jüdische Pessachfest, sind normalerweise nicht so wahnsinnig weit auseinander im Zeitraum des Jahres. Ist das denn eine Besonderheit, dass sie in diesem Jahr so sehr eng beieinander sind?
Steinhäuser: Ja, das ist ein besonderes Zusammentreffen, aber das ist nicht gewollt, sondern es ergibt sich aus den unterschiedlichen Kalendern, die jetzt aufeinander fallen. Und Ostern hat immer eine Beziehung zum Ersten Frühlingsvollmond.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.