Bundespräsident verteilt "heimlich" Essen an Obdachlose

Steinmeier, Zander und der "Foodtruck"

Eigentlich sollte von dem Termin keiner Wissen: Bundespräsident Steinmeier und der Musiker Frank Zander haben am Mittwochabend in Berlin Essen an Bedürftige verteilt. Eine Aktion, die Obdachlose in den Blick nehmen will.

Bundespräsident Steinmeier bei der Essensausgabe im Caritas-Foodtruck / © Walter Wetzler (Caritasverband für das Erzbistum Berlin)

DOMRADIO.DE: Es muss dem Bundespräsidenten sehr wichtig gewesen sein, dass er am Mittwoch spontan diesen Termin eingeschoben hat, oder?

Prof. Dr. Ulrike Kostka (Direktorin des Caritasverband im Erzbistum Berlin): Das war wirklich total klasse, dass Herr Steinmeier gekommen ist und es war ihm ein ganz großes Anliegen. Wir konnten uns ganz intensiv austauschen. Frank Zander war auch da. Es war wirklich für die Leute, die alle da waren, und das waren sehr viele Menschen, eine ganz, ganz wichtige Begegnung. Er hat fleißig Essen ausgeteilt und auch mit Betroffenen gesprochen. Das war richtig prima.

DOMRADIO.DE: Wie ist das abgelaufen?

Kostka: Der Caritas-Foodtruck stand vor einer evangelischen Kirche in Berlin-Schöneberg, die sich sehr stark sozial engagiert. Da steht der Foodtruck regelmäßig. Der Bundespräsident hat erst einmal mit uns und auch mit einer jungen Frau gesprochen, die lange selber auf der Straße gelebt hatte, mittlerweile einen festen Wohnsitz hat und sich jetzt selber ehrenamtlich engagiert.

Wir haben uns intensiv ausgetauscht über die Situation von wohnungslosen Menschen in der Corona-Pandemie und von anderen Menschen, die arm sind und wie sie besonders betroffen sind. Anschließend sind wir dann zu dem Foodtruck gegangen und Herr Steinmeier hat Essen verteilt.

Was ich entscheidend fand, dass ganz viele sehr positiv darauf reagiert haben, weil sie das einfach brilliant fanden, dass einmal der Bundespräsident da war und Frank Zander, und dass sie gesehen werden in dieser Situation.

Caritas Deutschland

Der Deutsche Caritasverband (DCV) ist der größte Wohlfahrtsverband Europas. Die Dachorganisation katholischer Sozialeinrichtungen setzt sich für Menschen in Not ein. Mit rund 690.000 hauptamtlichen Mitarbeitern - 80 Prozent sind Frauen - ist die Caritas zudem der größte private Arbeitgeber in Deutschland. Der Begriff "caritas" stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Nächstenliebe. Sitz des 1897 gegründeten Verbands ist Freiburg. Wichtige Bedeutung haben die Büros in Berlin und Brüssel.

Hinweisschild der Caritas / © Michael Althaus (KNA)
Hinweisschild der Caritas / © Michael Althaus ( KNA )

DOMRADIO.DE: Über welche Anliegen haben die Obdachlosen mit dem Bundespräsidenten gesprochen?

Kostka: Ein großes Thema war auf jeden Fall das "gesehen werden". Es waren übrigens nicht nur obdachlose und wohnungslose Menschen da, sondern auch viele alte Leute die in Armut leben. Dieses Gefühl, dass es ihnen so viel bedeutet, dass wirklich das Staatsoberhaupt sie sieht und ihre Situation wahrnimmt, das war etwas ganz Besonderes.

Auf der anderen Seite auch, dass wir als Caritas dahin gehen wo die Menschen sind, wo sie eben einfach Unterstützung brauchen - und dass sie das auch so organisieren, dass es funktioniert. Dass die Hilfe wirklich da hinkommt, wo es geht. Wobei ich sagen muss, viele Suppenküchen versuchen weiter zu arbeiten, aber haben eben nicht mehr so die räumlichen Möglichkeiten. Wir versuchen zu unterstützen. Da hat man gemerkt, es war auch irgendwie schon ein bisschen eine weihnachtliche Stimmung. Und das am ersten Tag des harten Lockdowns. Es war, glaube ich, ein sehr wichtiges Zeichen.

DOMRADIO.DE: Wie funktioniert der Foodtruck im Alltag und wie viele Menschen können sie damit versorgen?

Kostka: Pro Tag ungefähr 150 Leute. Der Foodtruck ist an elf Standorten in Berlin, an ganz unterschiedlichen Standorten. Er ist wirklich für die Menschen eine wichtige Hilfe. Eine Frau sagte mir zum Beispiel sie nehme etwas mit für ihre 93-jährige Mutter. Das war auch noch mal so ein Zeichen, dass ihr das ein wichtiges Anliegen war, weil sie auch finanzielle Schwierigkeiten haben.

Ich glaube, wir können damit vielen helfen, die gar nicht so sichtbar sind, weil Leute Essen mitnehmen. Wichtig ist eben auch dass sie merken, sie sind sozusagen im Blickfeld. Das ist, glaube ich, ein wichtiger Aspekt. Das eine ist das Essen und das andere ist, sie werden nicht vergessen.

DOMRADIO.DE: Wie betrifft die Corona-Krise Obdachlose in ihrem Alltag?

Kostka: Das Entscheidende ist, wenn man keine eigenen vier Wände hat, oder, ich möchte es ein bisschen erweitern, dass es auch Menschen sind, die stark von Armut betroffen sind. Man hat dann keine zusätzlichen Ressourcen. Das heißt zum Beispiel, ein obdachloser Mensch kann sich nicht in seine eigene Wohnung zurückziehen. Und wenn alles dicht ist, dann kann man sich auch nirgendwo mehr aufhalten. Das ist ein riesiges Problem.

Was wir hier in Berlin merken, und das wird man auch an anderen Orten merken, ist zum Beispiel das Flaschensammeln. Das machen viele Menschen, das machen obdachlose Menschen, aber ich sehe auch öfter alte Leute, die dann am Mülleimer stehen und die Flaschen sammeln. Das fällt jetzt zum Beispiel ganz flach, weil keiner mehr unterwegs ist und auch keine Veranstaltungen draußen sind. Das führt für viele dazu, dass sie wirklich zu wenig Geld haben und echte, große Nöte entstehen. Dann sind solche Unterstützungen wie der Caritas Foodtruck eine wunderbare Möglichkeit um ein bisschen die Situation zu entschärfen. Das ist schon ein ganz wichtiger Punkt.

Für viele die wohnungslos sind, ist natürlich auch die Frage wie es weitergeht in den nächsten Wochen und Monaten. Dementsprechend geht es auch immer um Kommunikation und Begegnung. Normalerweise, wenn sie zum Beispiel in die Tagesstätten kommen können, findet da viel Begegnung statt. Jetzt ist aber keiner mehr auf der Straße. Das ist natürlich alles sehr eingeschränkt.

DOMRADIO.DE: Würden Sie sich da auch mehr Unterstützung aus der Politik wünschen?

Kostka: Hier in Berlin selber erleben wir sehr viel Unterstützung und auch sehr viel Kreativität. Zum Beispiel hat das Land mit dafür gesorgt, dass das Hofbräuhaus in Berlin jetzt eine Tagesstätte ist, wo die Leute sich aufhalten können. Das finde ich ganz klasse.

Was mir aber große Sorgen macht: Ich bin ja auch Vorsitzender der katholischen Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, dass wir schon so manche Landkreise und Kommunen in Deutschland haben, die diese Menschen überhaupt nicht im Blick haben. In Berlin und auch in Köln gibt es viele Initiativen, aber gerade in kleineren und mittleren Städten, da frage ich mich schon, sind diese Menschen wirklich im Blick? Das ist, glaube ich, sehr unterschiedlich.

Dementsprechend war das heute auch noch mal ein wichtiges Zeichen des Bundespräsidenten zu sagen, habt sie bundesweit im Blick. Und natürlich ist es ebenfalls ein Zeichen, dass die Pandemie auch eine Situation ist, an der man viel merkt. So zum Beispiel: Wohnungslosigkeit in der Pandemie ist besonders schlimm, aber sie ist immer schlimm und das einzige was dagegen hilft sind eben Wohnungen.

Das Interview führte Gerald Mayer.

Quelle:
DR