Sterbebräuche dienten einst dem Schutz der Verstorbenen

Lebenslicht und Totensemmel

Der Tod wird heute meist tabuisiert, gestorben wird im Altenheim oder Krankenhaus, Bestatter sollen sich um die nötigen Dinge kümmern. Früher war der Tod ein Teil des Lebens, gestorben wurde zu Hause, die Angehörigen gingen selbstverständlicher mit dem Toten um. Allerdings glaubten sie, sich auch besonders schützen zu müssen: Die Handlungen und viele Bräuchen sollten helfen, den Verstorbenen selbst wie auch die Trauernden nicht dem Einfluss dunkler Mächte und übelwollender Dämonen auszuliefern.

Autor/in:
Karl-Heinz Wiedner
 (DR)

Denn im Mittelalter war man davon überzeugt, dass das Sterbebett von unheimlichen Mächten belagert würde, die sich beispielsweise mit einem bereitgestellten letzten Schluck des "Sterbeweines" besänftigen ließen. Zudem wurde im Sterbezimmer das Fenster stets weit geöffnet, damit die Seele leichter gen Himmel entschwinden konnte. Denn die Menschen gingen davon aus, dass der Tod nicht das Ende bedeutet, sondern den Übergang in eine andere Form des Sein darstellt.



Verbreitet war einst noch anderes Brauchtum, das die Seele eines Sterbenden vor dem Fegefeuer retten und den Angehörigen Trost spenden sollte. Dabei mussten die Werkzeuge des Teufels rechtzeitig beseitigt oder neutralisiert werden - auch um zu verhindern, dass Tote zu "Wiedergängern" wurden, weil sie im Jenseits keine Ruhe finden konnten. Deshalb wurden Spiegel, die im irdischen Leben der Eitelkeit dienten, verhängt, Bilder umgedreht und Uhren angehalten. Das war im "letzten Stündlein" besonders wichtig, denn die Lebensuhr des Sterbenden war abgelaufen. Erst nach der Beisetzung wurden die Uhren wieder in Gang gesetzt, nahm das Leben wieder seinen gewohnten Lauf.



Öllämpchen erhellt Weg in die Ewigkeit

Unerklärliche Vorkommnisse im Haus eines Verstorbenen erfüllten die Angehörigen mit besonderer Besorgnis. So glaubte man, dass sich der Tote "abmeldete" - etwa wenn sich plötzlich Türen durch einen Luftzug wie von Geisterhand öffneten oder ein Käuzchen rief. Die Sorge vor der möglichen Wiederkehr eines Verstorbenen bereitete einst Angst und Schrecken. Ein "Lebenslicht" in Form eines Öllämpchens oder der Taufkerze wurde nach der Totenwache gelöscht, denn es hatte nur die Aufgabe, den Weg in die Ewigkeit zu erhellen. Nach dem Ableben achtete man darauf, die starr blickenden Augen des Toten ebenso wie dessen geöffneten Mund zu schließen, damit der Tote die Hinterbliebenen weder hypnotisieren noch zu sich rufen konnte.

Klageweiber zogen einst von Haus zu Haus, um alle zum Gebet für den Verstorbenen und zum Geleit des Sarges ans Grab zu bitten. Selbst dem Vieh im Stall und insbesondere den Bienen teilte man nach alter Sitte einen Todesfall mit, denn man nahm an, die Tiere müssten sich hinsichtlich veränderter Gewohnheiten auf dem Hof umstellen.



Vorsorglich trug man die Leiche mit den Füßen voran aus dem Haus, gab dem Toten einiges vom persönlichen Besitz mit auf den Weg und sorgte für reichhaltige Mahlzeiten auf der letzten Reise. Drei in die Grube nachgeworfene Schaufeln Erde besiegelten des Verstorbenen endgültige Abkehr vom irdischen Dasein. Auch der noch heute gepflegte Brauch, dem Verstorbenen Blumen ins Grab zu werfen oder an der Grabstelle Sträuße und Kränze abzulegen, soll die innere Ruhe verklären. Vor allem das Grün von Tanne oder Buchsbaum stellte schon immer ein Sinnbild des ewigen Lebens und Angedenkens der Hinterbliebenen dar. Völlig verschwunden ist dagegen das Betrauern des Verstorbenen durch Trauerweiber, die auf den Gräbern saßen und die Toten lauthals beklagten. Schon früher sorgte diese Tradition für manchen Unmut. Um 1450 untersagte etwa die Polizei in Nürnberg "das Sitzen auf dem Grabe" ebenso wie "das Geschrei um die Toten".



Zum Gedenken an den Verblichenen traf sich die Trauergemeinde nach der Trauerfeier am Grabe zur symbolischen Mahlzeit im Trauerhaus. Verwandte und Freunde verzehrten zum Gedenken Gebildebrote sowie die mit Kümmel, Salz oder Mohn bestreuten Totensemmeln, die sinnbildlich vor allem der Abwehr bösen Zaubers dienten. Der heute noch übliche "Leichenschmaus" im Wirtshaus erinnert an diesen Brauch, dessen eigentliche Absicht der Versöhnung mit dem Toten und der Abwehr Einfluss nehmender dunkler Mächte, in Vergessenheit geraten ist.



Die Zeiten der Geisterbeschwörung, des Brauchtums in Verbindung mit den Toten und der Angst vor Verzauberung sind längst vorbei. Wer heutzutage im "Totenmonat" November über den Kirchhof geht, empfindet ihn in erster Linie als "Trauergarten", in dem Skulpturen, Gedenksteine, Engel, Christusdarstellungen neben den herbstlich bunt oder dauerhaft grün geschmückten und verschiedentlich mit Gedächtniskerzen versehenen Gräbern zu innerer Einkehr, Besinnung und Zwiesprache mit den Verstorbenen einladen.