Stiftung Weltethos fordert Blatter-Rücktritt

"Ein verheerendes Signal"

Nach dem neuerlichen Korruptionsskandal innerhalb der FIFA steht Präsident Blatter unter Druck. Der Generalsekretär der Stiftung Weltethos fordert im domradio.de-Interview dessen Rücktritt und eine Abkehr vom reinen Profitstreben im Sport.

FIFA-Präsident Blatter und der katarische Chef des WM-Komitees (dpa)
FIFA-Präsident Blatter und der katarische Chef des WM-Komitees / ( dpa )

domradio.de: Gesellschaftliche Verantwortung des Sports - dass die FIFA davon weit entfernt ist, das wissen wir im Grunde ja schon lange. Hat das Ausmaß des aktuellen Skandals Sie dennoch erstaunt?

Stephan Schlensog (Generalsekretär Stiftung Weltethos): Im Gegenteil, ich habe mich gewundert, dass man die Untersuchungen sehr stark auf Vertreter aus Mittel- und Südamerika beschränkt. Ich denke, wenn man in den Bereich Afrika und Vorderer Orient ginge, da gäbe es auch noch einige Kandidaten, wo man genauer hinschauen müsste. Ich fürchte, dass die Vernetzungen, die durch die aktuellen Untersuchungen ans Tageslicht kommen, noch viel größer werden. Insofern hat mich das, was jetzt bekannt wurde, nicht überrascht.

domradio.de: Doch selbst dieser Skandal kann die FIFA-Verantwortlichen offenbar nicht erschüttern: Sie wollen ihren Kongress wie geplant durchführen. Was ist das für ein Signal?

Schlensog: Ein verheerendes Signal. Zum einen zeigt das die Dickfelligkeit eines Herrn Blatters, der meint, das Ganze könne an ihm abperlen, wie das Wasser an der Ente, und er müsse sich dem gar nicht stellen, weil die Vorwürfe ihn im Moment nicht betreffen. Zum anderen ist es aber auch gesellschaftlich verheerend, wenn eine Großorganisation wie die FIFA mit einem solchen wirtschaftlichen, politischen und sportlichen Einfluss unter diesem Verdacht steht. Und das man dann dort nicht sensibel reagiert und versucht, die Probleme zu lösen, bevor man munter weiter die Zukunft plant, das ist ein verheerendes Signal hinsichtlich der Verantwortung. Es zeigt aber auch eine gewisse Arroganz.

domradio.de: Zumindest scheint jetzt eine neuerliche Mehrheit für FIFA-Chef Joseph Blatter bei der Präsidentschaftswahl am Freitag nicht mehr garantiert. Glauben Sie, dass er eventuell doch noch vorher Konsequenzen und seine Kandidatur zurückziehen könnte?

Schlensog: Ich hoffe es. Wenn er noch einen Rest seines Gesichts wahren möchte und mit Anstand aus dieser Krise herauskommen will, sofern das überhaupt noch möglich ist, dann müsste er Konsequenzen ziehen. Er ist ja nicht der König der FIFA. Ich fürchte aber, er wird es nicht tun. Nach allem, was ich von ihm gehört habe, scheint er beratungsresistent und selbstherrlich zu sein und unter großem Realitätsverlust zu leiden. Er scheint das nicht für nötig zu halten und er hat wohl auch in seinem Umfeld keine vernünftigen Berater.

domradio.de: Blatter hat kürzlich gesagt: Die FIFA sei einflussreicher als jede Religion.

Schlensog: Das ist größenwahnsinnig. Natürlich kann man Fußball, die Art, wie er zelebriert wird und das Ausmaß an Resonanz, als eine Art Ersatzreligion bezeichnen. Das Fantum hat manchmal schon einige religiöse Züge. Aber bei Religion geht es doch um Sinnvermittlung, um tiefergehende Fragen und Antwortangebote, die über das rein irdische Streben nach Befriedigung durch einen Sieg im Sport weit hinausgehen. Es ist ein sehr problematischer Vergleich, wenn auch ein sehr symptomatischer Vergleich für Blatter.

domradio.de: Ethik und Moral - das sind große Worte. Warum wäre es so wichtig, dass gerade so ein Fußballweltverband diese Werte wenigstens annähernd vorlebt?

Schlensog: Weil die Verantwortung, die ein solcher Verband hat, gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Kinder und Jugendliche machen doch das nach, was die Großen im Profibereich praktizieren. Und wenn es gang und gäbe wird, das ein Weltverband wie die FIFA durch korrupte Praktiken ins Rampenlicht kommt, ist das natürlich ein verheerendes Signal. Er recht, wenn die Sache für die Verantwortlichen dann auch noch recht glimpflich über die Bühne gehen sollte. Ein Verband hat eine gesellschaftliche Verantwortung, weil er Vorbildfunktion hat, weil dieser Sport eine integrierende Wirkung hat, weil er ausstrahlt in alle Bereiche der Gesellschaft hinein. Eine Gesellschaft, in der hunderte Millionen Menschen weltweit diesem Sport nachgehen und sich letztlich von dem prägen lassen, was vorgelebt wird. Dieser Verantwortung muss sich ein Verband stellen, und wenn er das nicht tut, dann hat er ein großes Defizit, das offensiv angegangen werden muss.

domradio.de: Blatter hat sich ein ganzes System aus Seilschaften errichtet - was müsste passieren, damit die FIFA sich ernsthaft zu einer seriösen Vereinigung entwickelt?

Schlensog: Die Personen müssten wechseln, es müssten glaubwürdige Personen in die Schlüsselpositionen gelangen, die nicht nur Sonntagsreden halten. Menschen, die glaubwürdig aufräumen und Verantwortung wahrnehmen wollen. Da gibt es viele Beispiele aus der Wirtschaft, wo nur glaubwürdiges neues Personal den Weg aus der Krise zeigen konnte. Aber es muss auch prinzipiell über das Verhältnis von Geld und Sport nachgedacht werden. Auch über die Rolle der Sponsoren. Die Frage ist doch: Wohin führt dieser entfesselnde Einfluss des Geldes, dieser inflationäre Einsatz von Geld in diesem Sport? Kann das so weitergehen oder muss man mehr kritische Distanz finden, damit der Sport auch Sport bleiben kann? Denn der Sport sollte um des Sportes Willen gemacht werden und nicht, wie viele meinen, nur um Geld und Macht zu erhalten.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR