Stille - schwer zu ertragen und dennoch wohltuend

Eine Sache der Gelegenheit

Eins steht fest: Dieser Advent wird anders. In "normalen" Jahren wünschen sich viele Menschen ruhigere Wochen vor Weihnachten, nun fürchtet sich mancher vor allzu viel Stille. Dabei lässt sie sich vielleicht nutzen.

Autor/in:
Paula Konersmann
Stille Nacht / © Michael Kappeler (dpa)
Stille Nacht / © Michael Kappeler ( dpa )

"Es ist so still, dass ich sie höre, die tiefe Stille der Natur": Diese Worte fand Theodor Fontane. Einer von vielen Dichtern, die sich einer paradox anmutenden Herausforderung stellten: die Stille zu beschreiben, Worte für jene Momente zu finden, in denen alles schweigt. Stille sei mehr als die Abwesenheit von Lärm, heißt es auch in derMeditation.

Im Wald oder am Meer, in der Kirche oder beim Yoga eine Wohltat - doch Stille kann auch provozieren. Alljährlich gibt es Streit um das Tanzverbot am Karfreitag, neben dem Volkstrauertag und dem Totensonntag der einzige bundesweite stille Feiertag. In einer zunehmend säkular geprägten Gesellschaft sehen viele nicht mehr ein, wegen eines Glaubens, den sie nicht teilen, auf Vergnügungen zu verzichten - und sei es nur für einen Tag.

Warum macht die Stille unruhig?

In den vergangenen Monaten waren nun alle zum Verzicht gezwungen, auf Reisen oder Konzertbesuche, vielleicht auch auf Existenzielles wie die Möglichkeit zum Broterwerb. "Ohne uns wird's still" ist nicht umsonst das Protest-Motto freischaffender Künstler. Derzeit will sich die Politik noch festlegen, in welchem Rahmen im Corona-Jahr die Weihnachtstage gefeiert werden können. Manche fürchten eine äußerst "Stille Nacht", in der es nicht das "traute hochheilige Paar" ist, das "einsam wacht", sondern man selbst, ohne vertrautes Weihnachtsritual und ohne die Menschen, die sonst zu diesem Fest dazugehören.

Neben der Natur sind es herausgehobene Orte, an denen es still ist. Friedhöfe, Kirchen oder Klöster gehören dazu. Vielleicht macht die Stille deshalb unruhig, weil sie an den Tod erinnert, an die "ewige Ruhe".

Wenn der Lärm der Welt nachlässt, kann aber auch Raum für Neues entstehen. Der Fotograf Michael Martin, der seit Jahrzehnten die Wüsten der Welt bereist, ist in gewisser Weise zum Experten für Stille geworden. Die Wüste sei "auf eineangenehme Art und Weise 'leer' und still", sagt er. "Sie ist Erholung pur für die Sinne." Zudem bringe es der Mangel an Reizen mit sich, dass Besucher die wenigen Sinneseindrücke, die es doch gebe, stärker wahrnähmen.

"Stade" heißt "stille Zeit"

Sich darauf einzulassen, ist nicht einfach. Der Reiseschriftsteller Patrick Leigh Fermor beschreibt in seinem Buch "Reise in die Stille" seinen Besuch in einem der ältesten Benediktinerkloster Frankreichs, St. Wandrille. Er schildert innere Unruhe, ein Gefühl von Verlorenheit und "unaussprechlicher Einsamkeit" während der immergleichen Tage, die nur von schweigend eingenommen Mahlzeiten und Gottesdiensten unterbrochen würden. Doch nach einer Weile, so Fermor, "erreicht man einen in der Welt dort draußen unvorstellbaren Zustand inneren Friedens".

Auch Kerstin-Marie Berretz macht sich derzeit Gedanken über die "stade", also stille Zeit, wie der Advent in Süddeutschland auch genannt wird. Sie lebt seit zwölf Jahren im Orden der Arenberger Dominikanerinnen - und sieht in der möglicherweise bevorstehenden Stille auch Chancen. "Es gilt nach Auswegen und Alternativen zu suchen, die einem selbst gut tun und zugleich niemanden gesundheitlich gefährden", erklärt sie. Dazu könne gehören, gemeinsam mit anderen zur selben Zeit, wenn auch an getrennten Orten, zu beten oder sich mit Tee und Plätzchen im Video-Chat zu begegnen.

"Stille Zeit ist kaum zu haben"

Schon der Apostel Paulus habe die Situation gekannt, weit weg von denen zu sein, die ihm am Herzen lagen, sagt die Ordensschwester. Er habe in Briefen ausgedrückt, wie sehr die lieben Menschen ihm fehlten. So lasse sich auch heute vermitteln, "wie sehr man sich darauf freut, die Advents- und Weihnachtszeit im nächsten Jahr wieder gemeinsam zu verbringen, was man am anderen schätzt und auf welche gemeinsame Aktivität man sich nach Corona am meisten freut".

Selbstgewählte Stille kann die Möglichkeit bieten, Abstand zum Alltag zu schaffen, neue Kräfte zu sammeln und sich auf das zu besinnen, was wirklich wichtig ist. Gläubige Menschen berichten, die Stille erlaube es bisweilen, Gott zu finden. Und man kann es auch pragmatisch sehen: "Stille Zeit ist kaum zu haben", schreibt der Autor Gerhard P. Steil. Also: "Greife zu und halte fest, wenn dir irgendwann das Leben etwas Stille überlässt."


Quelle:
KNA