Strategien im Kampf gegen Hunger gesucht

Helfen - aber wie?

Die Hiobsbotschaften wollen nicht abreißen: Was sich zu Jahresbeginn nur andeutete, hat sich seit den Hungerrevolten in Haiti zu einem "stillen Tsunami" ausgewachsen. Den armen Ländern dieser Welt gehen Reis, Mais und Weizen aus. Und die internationale Staatengemeinschaft sucht mit Hochdruck nach angemessenen Reaktionen. Die Zeit drängt.

Autor/in:
Joachim Heinz
 (DR)

So sieht sich das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen nach eigenen Angaben schon bald dazu gezwungen, Hilfsprogramme einzustellen. Die dafür benötigten Grundnahrungsmittel seien aufgrund der Preissteigerungen nicht mehr zu finanzieren.

Kein Wunder also, dass sich auch der Bundestag am Mittwoch im Rahmen einer Aktuellen Stunde mit den "überfälligen Strategien der Bundesregierung zur Lösung der Welternährungskrise" auseinandersetzte. Dabei überrascht die unheimliche Sogkraft dieser Entwicklung selbst Experten. Noch bis vor einem Jahr seien internationale Studien von sinkenden Preisen ausgegangen, weiß Michael Brüntrup vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn. Doch der Agrar-Ökonom warnt zugleich davor, im Strudel der Ereignisse die nüchterne Analyse aus dem Blick zu verlieren.

Ein Beispiel ist die Diskussion um die sogenannten Biotreibstoffe. Weil immer mehr nachwachsende Rohstoffe in die Tanks von Autos wandern, nimmt die Menge an verfügbarem Getreide ab, lautet eine These. Künftig könnte dieser Trend in der Tat eine wichtige Rolle spielen. Ob er aber zu der aktuellen Krise beigetragen hat, bezweifeln Brüntrup und andere Experten. Derzeit liege der Anteil von Bioethanol an der Weltgetreideproduktion bei gerade einmal drei bis vier Prozent. Diesen Anteil hätten die großen Anbaunationen bislang mit Exportsteigerungen aufgefangen. Problematischer seien andere Faktoren: Etwa die Tatsache, dass sich rund um den Globus Missernten gehäuft hätten und die Lagerbestände so niedrig seien wie seit 25 Jahren nicht mehr.

Die besonderen Strukturen des globalen Agrarmarktes
Erschwerend hinzu kommen die besonderen Strukturen des globalen Agrarmarktes. Weniger als zehn Prozent der jährlichen Ernte gelangen überhaupt in den weltweiten Handel. Weil der Markt so eng ist, schlagen Exportbeschränkungen von Produzenten und die gleichzeitigen Bestellungen aus notleidenden Staaten unmittelbar zu Buche. Die steigenden Ölpreise verteuern zusätzlich den Transport der begehrten Güter. Und Spekulanten bringen seit einiger Zeit eine ganz eigene Dynamik ins Geschehen.

Besonders betroffen davon sind eben jene Staaten, deren landwirtschaftliche Leistungskraft eingeschränkt ist - beispielsweise durch den fortschreitenden Grad an Urbanisierung. Ende diesen Jahres wird laut UN-Prognosen erstmals mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten leben. Was die Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten in den Entwicklungsländern weiter vergrößern dürfte. Insofern ist Haiti nach Ansicht von Heinz Oelers, Länderreferent beim katholischen Hilfswerk Misereor in Aachen, ein Paradebeispiel. Dort würden schon jetzt 80 Prozent der gesamten Devisen für den Kauf von Getreide ausgegeben. Und die Aufstände hätten sich vor allem auf die Städte konzentriert, wo die Bevölkerung unmittelbar die Engpässe verspüre.

Entwicklungshelfer und -politiker plädieren deshalb dafür, die Strukturen vor Ort zu stärken, Kleinbauern und ressourcenschonende Anbaumethoden zu fördern. Über kurz oder lang, so meint DIE-Experte Brüntrup, müssten aber auch mittlere Betriebe gestärkt werden. Ansonsten drohe eine unüberwindbare Kluft zwischen industrieller Nahrungsmittelproduktion und traditioneller Landwirtschaft. Dazu zähle auch, Vorbehalte gegenüber der modernen Biotechnologie aufzugeben. Oder wie es die beiden Agrarwissenschaftler Ganesh Raj Joshi aus Nepal und Kamal El-Siddig aus dem Sudan unlängst auf einer Konferenz in Bonn formulierten: Der Export von technischem Know-how sei für viele Länder langfristig sinnvoller als die jüngst aufgelegten finanziellen Nothilfeprogramme.