So geht ein amerikanischer Scherz vom Beten in der Schule: Solange Kinder Prüfungen schreiben, wird in Klassenzimmern gebetet. In den USA sind von Lehrkräften angeordnete und staatlich verfasste Gebete wegen des Verfassungsprinzips der Trennung von Kirche und Staat verboten. Ein Grundsatzurteil hat das vor langer Zeit klargestellt.
Der maßgebende Spruch des Obersten Gerichts am 25. Juni 1962 ist 60 Jahre her. Er wird noch heute angefeindet. Manche Politiker machen die "Vertreibung" Gottes verantwortlich für Schulschießereien. Der republikanische Kongressabgeordnete Stephen Scalise sagte nach dem Massenmord in der Grundschule im texanischen Uvalde im Mai, früher habe es auch schon Sturmgewehre gegeben, doch keine Schulschießereien. "Zu dieser Zeit wurde tatsächlich in Schulen gebetet."
Beschwerde über Gebets-Ritual
1962 hatten mehrere Eltern in einer Mittelklasse-Suburb in Long Island in New York sich über ein Ritual beschwert: Vor dem Unterricht wurde das von der Schulbehörde formulierte Gebet gesprochen, "Allmächtiger Gott, wir erkennen, dass wir auf Dich angewiesen sind, und wir bitten Dich, dass Du uns segnest, und unsere Eltern und Lehrer und unser Land".
Der Staat dürfe nicht vorschreiben, wann und wie Schüler zu beten hätten, protestierten die Eltern. Laut Verfassung gebe es in den USA keine "Staatsreligion". Die Schülerin Jeanne Lyons, deren Mutter Lenore Lyons mitgeklagt hatte, sollte Jahre später im Fachdienst "Church and State" von dieser Zeit erzählen. Nachbarn hätten nicht mehr mit ihrer Familie gesprochen, sagte ihre Mitschülerin Naomi Lichtenstein: "Plötzlich wurden wir 'commies' genannt ... ich wusste nicht einmal, was das bedeutet". Es war das Zeitalter des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion und den Kommunismus. Wer nicht an Gott glaubte, machte sich verdächtig.
Die klagenden Eltern waren eine kleine Minderheit. Dennoch hat der Oberste Gerichtshof den Fall zugelassen. Das Urteil kam deutlich mit sechs Richterstimmen zu einer. Laut Verfassung sei die Regierung nicht berechtigt, "offizielle Gebete zu schreiben". Neutralität diene "allen religiösen Interessen", und "Atheisten und Agnostiker haben das Recht, ihre eigenen Wege zu gehen", schrieb Richter William Douglas.
Kardinal Spellman reagierte schockiert
Er sei "schockiert", protestierte der römisch-katholische Kardinal Francis Spellman damals laut "New York Times". Das Urteil steche ins Herz der "gottgefälligen Tradition", nach der Amerikas Kinder aufgewachsen seien. Der Nationale Verband der Evangelikalen bedauerte die Entscheidung. Der mittlerweile verstorbene Prediger Billy Graham sah einen "sehr gefährlichen Trend". Zahlreiche Politiker forderten eine Verfassungsänderung.
US-Präsident John F. Kennedy, der als erster Katholik in diesem Amt mit Vorurteilen der "Papsthörigkeit" konfrontiert war, wollte vermitteln. Wer beten wolle, könne das zu Hause tun. Er hoffe, dass "alle amerikanischen Eltern" öfter beten würden, sagte er bei einer Pressekonferenz.
Das als "Engel v. Vitale" - Steven Engel war einer der Kläger, William Vitale Chef der Schulbehörde - bekannte Urteil habe den Grundstein gelegt für nachfolgende Gesetze zur Trennung von Kirche und Staat, sagte der Experte Rob Boston vom Verband "Vereinigte Amerikaner für die Trennung von Kirche und Staat". 1963 erklärte das Oberste Gericht von Lehrkräften verordnetes Beten und Bibellesen für verfassungswidrig.
Trennung von Kirche und Staat und Gebete bei staatlichen Veranstaltungen bleibt ein heikles Thema in einem Land mit einer viel größeren religiösen und nichtreligiösen Vielfalt als vor 60 Jahren.
Damals dominierte der Protestantismus, es gab eine katholische Minderheit und eine geringe jüdische Bevölkerung. Heute gibt mehr als ein Viertel der US-Amerikaner an, keine Bindung zu religiösen Institutionen zu haben. Zum Repertoire des früheren Präsidenten Donald Trump gehörte die Forderung, man müsse in Schulen beten dürfen.
Supreme Court mit neuem Fall beschäftigt
Das Oberste Gericht befasst sich gegenwärtig mit einem neuen Gebetsfall. Ein Football-Trainer an einer Schule im Bundesstaat Washington fühlt sich diskriminiert. Er hatte nach Spielen auf dem Platz mit gebeugten Knie gebetet, gelegentlich zusammen mit Spielern.
Die Schulbehörde untersagte diese "demonstrative Darbietung". Kennedy dürfe als Staatsangestellter keine religiöse Praxis fördern. In konservativen Amerika betrachten manche Kennedy als Volksheld.
Das Oberste Gerichte ist anders zusammengesetzt als 1962. Die Nation ist säkularer, doch sechs der neun amtierenden Richterinnen und Richter gelten als konservativ und religiösen Belangen wohlgesonnen. Das Urteil wird in Kürze erwartet.