Die Gesellschaft sei schon so weit, die Politik hänge den Entwicklungen hinterher - so heißt es oft, wenn von einer Öffnung der staatlichen Ehe für homosexuelle Paare die Rede ist. Das scheint eine neue Studie zu bestätigen, die am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde: Danach finden 83 Prozent der Befragten, dass auch Eheschließungen zwischen zwei Frauen und zwei Männern möglich sein sollten.
In Auftrag gegeben hatte die Studie die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Deren Leiterin Christine Lüders betonte, die Zustimmung zur Gleichstellung bei der Ehe sei noch nie höher gewesen. Es sei ein "trauriges Zeichen", dass es in Deutschland anders als in 14 Staaten Europas noch immer keine "Ehe für alle" gebe. Ihr Plädoyer: Der Gesetzgeber dürfe nicht länger hinauszögern, was eine Mehrheit längst für selbstverständlich halte. Und der Grünen-Abgeordnete Volker Beck verweist auf den Koalitionsvertrag von Union und SPD, nach dem rechtliche Regelungen, die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften schlechter stellen, beseitigt werden sollten.
Keine völlige Gleichstellung
In Deutschland können homosexuelle Paare seit 2001 eine Lebenspartnerschaft eingehen und damit ihrer Beziehung einen rechtlichen Rahmen geben. Etwa im Steuerrecht ist diese Partnerschaft der Ehe inzwischen weitgehend gleichgestellt. Kinder adoptieren können schwule oder lesbische Paare nach wie vor nicht. Allerdings ist bei eingetragenen Lebenspartnerschaften seit 2014 die sogenannte Sukzessivadoption möglich: Danach können Paare ein Kind adoptieren, wenn es zuvor vom jeweiligen Partner adoptiert worden war
Im Bundestag legen die Grünen regelmäßig Gesetzentwürfe für eine Öffnung der Ehe vor. Auch die SPD und die Linken sprechen sich mehrheitlich für eine Gleichstellung aus. Die Union lehnt sie ab, wenn auch einige Abgeordnete wie das CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn (CDU) für sie werben.
Unterschiedliche Positionen der Kirchen
Die beiden großen Kirchen positionieren sich unterschiedlich: In vielen evangelischen Landeskirchen, wie etwa in Baden, gibt es inzwischen eine Trauung oder Segnung für Homosexuelle. Klar gegen die "Homo-Ehe" stellt sich die katholische Kirche - auch unter Papst Franziskus.
Als im katholischen Irland die Bevölkerung 2015 in einem Referendum mehrheitlich für die Öffnung der Ehe stimmte, sprach Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin von einer "Niederlage für die Menschheit". Der Präfekt der Römischen Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, meinte, das "Ja" der Iren zur gleichgeschlechtlichen Ehe bedeute eine "Diskriminierung des Ehebundes von Mann und Frau und somit eben auch der Familie".
Marx: Konsens extrem schwierig
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, verwies im selben Jahr darauf, dass es bei den Bischöfen trotzdem eine Bandbreite beim Umgang mit Fragen zur Homosexualität gebe: Ein weltweiter Konsens der katholischen Bischöfe sei in dieser Frage "extrem schwierig".
Bei genauerer Betrachtung der neuen Studie gibt es zudem auch bei den Befragten Vorbehalte. Danach erscheint es zumindest fraglich, ob die deutsche Gesellschaft wirklich so liberal ist, wie es das klare Votum für eine "Ehe für alle" auf den ersten Blick vermuten lässt: Sie zeigt nämlich auch, dass abwertende Einstellungen in der Bevölkerung durchaus noch weit verbreitet sind. So bezeichneten es 38 Prozent der Befragten als "sehr" oder "eher" unangenehm, wenn zwei Männer in der Öffentlichkeit ihre Zuneigung zeigen. Etwa 18 Prozent halten Homosexualität demnach für "unnatürlich".