Der Auftrag war klar formuliert: Die Studie zur Aufarbeitung von sexueller Gewalt in der katholischen Kirche solle für "Klarheit und Transparenz über diese dunkle Seite in unserer Kirche" sorgen. So hatte es der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann, zum Start des Projekts erklärt - "um der Opfer willen, aber auch, um selbst die Verfehlungen zu sehen und alles dafür tun zu können, dass sie sich nicht wiederholen".
Nach gut vier Jahren ist die von der Bischofskonferenz in Auftrag gegebene Untersuchung nun fertiggestellt. Rund 360 Seiten umfasst sie. Als erste Ergebnisse bekannt wurden, war der Schreck groß: Für den Untersuchungszeitraum von 1946 bis 2014 fand das interdisziplinäre Forscherteam rund um den Mannheimer Psychiater Harald Dreßing 3.677 Betroffene sexueller Übergriffe und rund 1.670 Priester, Diakone und Ordensleute als Beschuldigte - das sind 4,4 Prozent aller Geistlichen aus rund 70 Jahren.
Studie wird von DBK vorgestellt
Am Dienstag stellen die Wissenschaftler bei der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda die gesamte Untersuchung vor. Dabei wollen sie auch Besonderheiten der katholischen Kirche in den Blick nehmen, die einen Missbrauch begünstigen könnten.
Für ihre Untersuchung haben die Wissenschaftler unterschiedliche Methoden verknüpft, ein wohl einmaliger Ansatz, wie Dreßing erklärte.
Auch sollte die Studie den Datenschutz einhalten - unter anderem an dieser Vorgabe war ein erster Anlauf mit dem Kriminologen Christian Pfeiffer gescheitert. Geistliche, die wegen Missbrauch aktenkundig sind, werden in der Studie als Beschuldigte bezeichnet, ihre Namen und die der jeweiligen Bistümer sind anonymisiert. Zudem werteten die Wissenschaftler die Akten nicht selbst aus, sondern nutzten die Daten, die ihnen die Bistümer weiterleiteten.
Qualitative Interviews ein Schwerpunkt der Studie
Neben der quantitativen Untersuchung bilden qualitative Interviews einen Schwerpunkt der Studie: Sie wurden geführt mit Betroffenen, die sich meldeten, sowie mit Beschuldigten, die ihnen die Bistümer vermittelten. Um mögliche Besonderheiten über den Missbrauch in der katholischen Kirche herauszufiltern, wurden kirchliche mit anderen Fällen verglichen. Zudem analysierten die Wissenschaftler auch Ergebnisse anderer Studien, etwa aus den USA und Australien. Dennoch, so die Forscher, könnten die Quellen nur einen Teil der begangenen Straftaten abbilden.
Zu einem "Täterprofil" hatte das Forscherteam bereits 2016 erste Anhaltspunkte vorgelegt, diese scheinen sich nun zu bestätigen: Wie in bereits vorliegenden Untersuchungen aus einzelnen Bistümern in Deutschland, aber auch aus anderen Ländern waren die Beschuldigten in erster Linie Gemeindepfarrer und andere Priester. Bei vielen wurde eine emotionale oder sexuelle Unreife festgestellt, bei einigen eine Persönlichkeitsstörung und bei einem eher geringen Teil fanden sich Merkmale von Pädophilie.
Auffällig ist mit 13,1 Prozent die Zahl der Alkoholabhängigen unter den beschuldigten Geistlichen. Unter den Betroffenen ist der Anteil von minderjährigen männlichen Ministranten mit 29,8 Prozent besonders hoch. Viele Taten geschahen in Pfarrhäusern oder anderen kirchlichen Gebäuden.
Zölibat kein Risikofaktor
Der Zölibat - die Verpflichtung zur Ehelosigkeit der Priester - ist laut Studie an sich noch kein Risikofaktor für sexuellen Missbrauch. Er erfordert aber eine "intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Emotionalität, Erotik und Sexualität". Diese sei derzeit nicht ausreichend. Auch der Umgang der katholischen Kirche mit der Homosexualität sei von Bedeutung, heißt es in der Studie weiter.
Homosexualität sei ebenfalls kein Risikofaktor für sexuellen Missbrauch. Die Forscher raten der Kirche zudem dazu, ihre grundsätzlich ablehnende Haltung zur Weihe homosexueller Männer dringend zu überdenken.
Bemerkenswert ist die Vermutung der Wissenschaftler, dass es sich beim sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch Kleriker nicht "um eine in der Vergangenheit abgeschlossene und mittlerweile überwundene Thematik handelt". Allerdings zeigt die Studie auch, dass die Zahl der gemeldeten Missbrauchsfälle nach einem Höhepunkt in den 1990er Jahren bis 2017 drastisch zurückgegangen ist.