DOMRADIO.DE: Wie haben Sie davon erfahren, dass die Standorte an den Universitäten Bochum, Dortmund und Bielefeld geschlossen werden sollen?
Leo Jenett (Soziologiestudent an der Universität Bielefeld, Gemeindeassistent bei der dortigen Evangelischen Studierendengemeinde und Mitinitiator der Demonstration): Im Sommer haben wir schon unter den ersten Sparmaßnahmen gelitten. Früher hatten wir eine Hilfskraft, die für das Haus zuständig war, und eine Sekretärin. Diese Stellen wurden gestrichen. Damals fragten wir uns, was hier passiert. Inzwischen haben wir auch einen Gemeindeassistenten weniger. Es wurden also immer weniger Stellen und da haben wir dann beim Landeskirchenamt nachgehakt.
In Gesprächen hat unser hauptamtlicher Studierendenpfarrer Ulrich Melzer dann erfahren, dass scheinbar der Plan ist, uns zu schließen. Den Standort Bielefeld soll es so nicht mehr geben. In den Planungen der Landeskirche Westfalen ist nämlich vorgesehen, dass die Studierendengemeinden 50 Prozent sparen sollen. Anfangs wurde noch sehr vage formuliert: "Ja, vielleicht werdet ihr geschlossen". Inzwischen gab es Äußerungen von höheren Leitungspersonen, die das Vorhaben bestätigt haben. Wir glauben, dass bei der Synode im November ein konkreter Beschluss kommen könnte.
DOMRADIO.DE: Was war Ihr erster Gedanke, als Sie von diesen Plänen gehört haben?
Jenett: Wir waren natürlich sehr überrascht, weil mit uns niemand darüber gesprochen hat. Wir haben es auch nicht verstehen können.
DOMRADIO.DE: Die Entwicklung der rückläufigen Kirchenmitglieder ist schon länger bekannt. Weniger Kirchensteuermittel bedeutet weniger Geld für Personal und Gebäude. Es ist naheliegend, dass nicht alle Einrichtungen der Kirche erhalten werden können…
Jenett: Definitiv, aber die Frage ist doch: Was ist der Kirche wichtig? Und was sollte der Kirche vielleicht wichtig sein? Auch objektiv betrachtet muss man sich fragen: Wie möchte die Kirche in Zukunft bestehen, wenn sie sich die eigene Zukunft absägt, indem sie den jungen Leuten keine Anlaufstelle mehr bietet? Wir sind an der Hochschule. Wir sind da, wo Studierende sind.
Man darf in Bielefeld nicht unterschätzen, dass die Zahlen der Theologiestudierenden in letzter Zeit steigen. Wir haben eine Fachschaft, die es seit mehreren Jahren nicht mehr gab. Sie ist vor ein paar Monaten neu gegründet worden. Wir stehen mit ihr in gutem Kontakt. Und auch die Rektorin der Uni Bielefeld hat sich für unsere Demo eingesetzt und kommt vielleicht sogar vorbei. Die Universität steht hinter uns, weil es wichtig ist, dass die Kirche an einem solchen Standort präsent ist. Das ist für die Zukunft der Kirche mindestens genauso relevant wie Seniorenkreise oder ähnliches.
DOMRADIO.DE: Könnte es daran liegen, dass das Angebot der evangelischen Studierendengemeinde (ESG) in der breiten Studierendenschaft insgesamt nicht gut genug angenommen wird? Die Leute rennen Ihnen ja nicht die Bude ein… und sobald sie ihr Studium beendet haben, sind sie weg.
Jenett: Das ist natürlich ein Punkt - vor allem die fehlende Planbarkeit bei Studierenden. Man wechselt den Studienort, schließt das Studium ab oder bricht es ab. Das alles ist möglich. Deshalb gibt es viel Durchlauf und kaum einen festen Gemeindekern. Nichtsdestotrotz ist es super wichtig für junge Leute, positive Erfahrung mit Kirche zu machen.
Wir sehen den Trend, dass die Leute zwischen 27 und 32 beginnen, aus der Kirche auszutreten. Das passiert hauptsächlich, weil sie keine guten Erfahrungen mit Kirche machen. Aber wenn die Leute sehen, das ist ein Ort, an dem man Gemeinschaft haben kann, an guten Dingen teilhaben kann, entscheiden sie sich vielleicht anders. Es ist super relevant, dass wir diesen Menschen die Möglichkeit geben, Kontakt mit Kirchengemeinden zu haben.
Außerdem treffen wir uns häufig unter der Woche. Ein klarer Vorteil der evangelischen und katholischen Studierendengemeinden ist, dass man nicht am Wochenende, wenn man oft in der Heimat ist oder pendelt - im Studentenleben wird auch die ein oder andere Party gefeiert - sonntags früh zur Kirche gehen muss. So erreichen unsere Angebote Studierende, die nur unter der Woche an der Hochschule sind. Sie können hier eine gemeindliche Heimat finden, eine Heimat innerhalb der evangelischen Kirche. Zudem schafft es eine starke Verbindung untereinander, weil hier viele Gleichaltrige sind.
DOMRADIO.DE: Wie viele Studierende kommen denn zu diesen Angeboten?
Jenett: Das ist von Semester zu Semester sehr unterschiedlich. Die Zahlen schwanken, weil wir wie gesagt kaum eine Planbarkeit haben. Wir hatten jetzt ein Semester, in dem durchschnittlich 20 Leute da waren, wir hatten auch schonmal ein Semester, wo wir mit fünf Leuten am Tisch saßen. Das lässt sich nicht genau sagen.
DOMRADIO.DE: Unter dem Motto "Ohne uns sieht Eure Kirche alt aus" wollen Sie in der kommenden Woche gegen die Schließung demonstrieren. Was ist geplant? Was wollen Sie damit erreichen?
Jenett: Das Hauptziel ist natürlich, gesehen zu werden. Es kann nicht sein, dass mit uns nicht gesprochen wird. Wir sind kompromiss- und gesprächsbereit. Das geht so in unseren Augen nicht, wie mit uns umgegangen wird. Und deshalb wollen wir ein Zeichen setzen. Wir wollen zeigen: Hier sind echte Menschen, die betroffen sind. Es gibt Menschen, denen am Herzen liegt, was mit der ESG passiert.
Deshalb ziehen wir am 31. Oktober um 13 Uhr vom Bielefelder Bahnhof zum Landeskirchenamt. Wir wissen noch nicht, ob wir dort jemandem aus der Leitungsriege begegnen, der unsere Protestnote entgegen nimmt. Wir haben das Landeskirchenamt vor einer Woche angeschrieben. Bisher haben wir keine Rückmeldung bekommen. Sollte niemand da sein, werden wir die Protestnote irgendwo anbringen oder an die Tür kleben.
Das Interview führte Elena Hong.