Stuttgarter Stadtdekan vor dem AfD-Parteitag

"AfD ist wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde"

Vor dem Parteitag der Alternative für Deutschland in Stuttgart spricht der dortige Stadtdekan Monsignore Christian Hermes bei domradio.de über seine Erfahrungen mit der AfD, die Sicherheitslage in der Stadt und Reaktionen auf einen offenen Brief.

Plakat der "Alternative für Deutschland"  / © Daniel Bockwoldt (dpa)
Plakat der "Alternative für Deutschland" / © Daniel Bockwoldt ( dpa )

domradio.de: Vor ihrem am Wochenende beginnenden Parteitag hat sich die AfD offen gegen den Islam gestellt. Äußerungen wie "Der Islam gehört nicht zu Deutschland" haben für Aufsehen gesorgt. Der Erzbischof von Köln, Rainer Maria Kardinal Woelki, hatte daraufhin in einer Videobotschaft die Religionsfreiheit in Deutschland betont. Sie haben sich ebenfalls mit einem offenen Brief an den Co-Chef der AfD, Jörg Meuthen, gewandt, um klarzustellen, dass Sie sich ebenfalls für eine freie Religionsausübung aussprechen. Was glauben Sie, wird da vor diesem Hintergrund am Wochenende auf Stuttgart zukommen?

Monsignore Christian Hermes (Stadtdekan von Stuttgart): Ich bin mal sehr gespannt. Die AfD hat in der Vergangenheit ein Bild abgegeben, das mich an die Geschichte von Dr. Jekyll und Mr. Hyde erinnert. Es gibt immer wieder die braven Biedermänner in dieser Partei. Jörg Meuthen ist ein Exponent dafür, der einfach nur ein konservativer Bürgerlicher sein möchte, aber gleichzeitig auch die ganzen Chaoten und wirklich verrückten Positionen deckt, bagatellisiert und verteidigt.

Wir hatten hier in Baden-Württemberg auch einige Beispiele dafür. Ein Herr Frohnmeier sagte, wenn die AfD rankäme, dann würde in diesem Staat aufgeräumt werden. Eine jetzt in den Landtag gewählte Vertreterin sagte, Deutschland werde von einem demografischen Genozid bedroht. Derartiger Unsinn wird geäußert. Und ich bin jetzt einmal gespannt, wie die Partei damit umgehen wird. Ich glaube, sie steht tatsächlich am Scheideweg, ob sie sich weiter radikalisiert und aus einem vernünftigen demokratischen, politischen Diskurs verabschiedet, oder ob sie tatsächlich diese abwegigen und verfassungsfeindlichen rechten Positionen eingefangen bekommt.

domradio.de: Befürworten Sie denn die geplanten Demonstrationen gegen den Parteitag der AfD?

Hermes: Es gehört auch zu unserer grundgesetzlichen freiheitlichen Ordnung, dass Menschen ihrer politischen Meinung Ausdruck verleihen dürfen. Ich bin ein ganz großer Befürworter der Demonstrationsfreiheit. Wir haben hier in Stuttgart aber auch schon sehr handfeste Auseinandersetzungen im Kontext der "Demo für alle" erlebt. Ich sage deswegen auch, dass die Demonstrationen friedlich bleiben müssen. Ich bekomme mit, dass an der Landesmesse, beim Flughafen und bei der Autobahn, wo der Parteitag stattfindet, Großaufgebote der Polizei sein werden, weil es wohl Befürchtungen gibt, dass die Demonstrationen nicht friedlich bleiben werden. Es gibt eine zweite Demonstration in der Innenstadt.

Ich hoffe wirklich sehr, dass die friedlichen Demonstranten, die sagen, dass sie sich politisch mit dieser Bewegung, die aus meiner Sicht außerhalb dessen steht, was demokratischer Konsens in unserem Land bedeutet, sich entsprechend verhalten. Wir wollen uns dagegen stellen, aber gleichzeitig muss klar sein, dass jeder politische Streit und jede Auseinandersetzung keine Gewalt rechtfertigt, wie sie leider immer wieder auch von linksradikalen Gruppen unternommen wird.

domradio.de: Werden Sie sich selbst der Demonstration anschließen?

Hermes: Nein. Ich werde mich an der Demonstration nicht beteiligen. Ich habe andere Wege gewählt, mich mit der AfD auseinanderzusetzen. Wege, die über die sozialen Medien in die Öffentlichkeit gingen. Da hat die AfD ganz schön gekocht. Das hat man auch an den Rückmeldungen im Internet gesehen, die sowieso sehr spannend sind. Genauso wie es auch Kardinal Woelki auf seine Videobotschaft hin erlebt hat, bin auch ich jetzt vermehrt mit Shitstorms übersät worden. Wir haben uns entschieden, diese Shitstorms auch einfach stehen zu lassen, um zu dokumentieren, auf welchem argumentativen Niveau und mit welchem geistigen Horizont die Anhänger der AfD dort ihre scheinbaren Argumente, die in Wahrheit Ressentiments und Vorurteile sind, immer wieder wiederkäuen und auf jeden draufspucken, der sich erlaubt, ihre Bewegung zu kritisieren.

domradio.de: Sie haben es bereits erwähnt, dass Sie für Ihren offenen Brief angefeindet worden sind. Wie haben Sie sich dabei gefühlt?

Hermes: Ich habe das schon ein paar Mal gemacht. Da muss man auch sportlich mit umgehen. Sie können im Grunde die Pseudo-Argumente, die da gebracht werden und die natürlich auch oft unter die Gürtellinie gehen, einfach diffamierend sind, von denen ich weiß, dass mich die Menschen ja gar nicht persönlich kennen und auch nicht ich gemeint bin, sondern ich als Vertreter einer Position, auf einer großen Seite zusammenstellen. Es ist immer wieder derselbe Sermon. Ich glaube, es gibt einfach sehr viele frustrierte, verbitterte, gelangweilte Menschen, die irgendwo an einem Computer sitzen und den ganzen Tag nichts anderes tun, als solchen Mist in ihre Tastatur zu klopfen.

Ich finde es beispielsweise geradezu lächerlich, wenn ich die wirklich unter die Gürtellinie gehenden Kommentare beiseitelasse, dass man Kardinal Woelki und mir und allen, die sich kritisch mit der Islamhetze, die die AfD, die Frau von Storch und Herr Gauland betreiben, sagt, wir hätten überhaupt keine Ahnung und wir müssten uns mit der Lage der verfolgten Christen im Nahen Osten beschäftigen. Mit Verlaub gehe ich davon aus, dass sowohl Kardinal Woelki als auch ich mit der Lage der verfolgten Christen im Nahen Osten zehn Mal besser vertraut sind, weil wir die verfolgten Christen ja auch hier haben. Wir haben eine große chaldäische Gemeinde in Stuttgart. Vor kurzem war der Patriarch der Chaldäer bei mir zu Gast. Wir haben sehr genaue Kenntnis von dem, was dort vorgeht. Ganz klar verurteile ich, so wie alle Geistlichen und Kirchenvertreter, die ich kenne, einen militanten und aggressiven Islam. Ein solcher Islam gehört in der Tat nicht zu Deutschland. Aber was die AfD immer wieder tut, nämlich in Bausch und Bogen die gesamte Religionsgemeinschaft zu verunglimpfen, das ist wirklich hart am Rande der Volksverhetzung, und das habe ich Herrn Meuthen auch geschrieben. Ich fürchte nur, er hat es nicht verstanden.

Das Interview führte Tommy Millhome.


Monsignore Christian Hermes / © Harald Oppitz (KNA)
Monsignore Christian Hermes / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR