Erzbistum Köln beteiligt sich an "Woche für das Leben"

Suizidgefahr ernstnehmen

Die jährliche "Woche für das Leben" der katholischen und evangelischen Kirche widmet sich der Suizidprävention. Auch das Erzbistum Köln unterstützt die an diesem Samstag beginnende bundesweite Aktion mit Beratungsangeboten.

Die Umrisse einer Hand, sie sich auf eine Glasscheibe stützt, dahinter die unscharfe Silhouette einer Person. / © Harald Oppitz (KNA)
Die Umrisse einer Hand, sie sich auf eine Glasscheibe stützt, dahinter die unscharfe Silhouette einer Person. / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie kommen aus der Erwachsenenseelsorge. Wie verbreitet sind Suizidgedanken unter Erwachsenen? Ist das eine Randerscheinung oder ein Problem, über das zu wenig gesprochen wird?

Dr. Philipp Wittmann (Leiter der Abteilung Erwachsenenseelsorge im Erzbischöflichen Generalvikariat Köln): Es ist ganz sicher so, dass das Thema Suizid nach wie vor mit einem Tabu belegt ist. Wir sprechen noch zu wenig in der Öffentlichkeit darüber, zum Beispiel zu wenig über die Nöte der Menschen, die suizidgefährdet sind. 

Insofern ist es richtig und gut, dass die diesjährige "Woche für das Leben" sich diesem Thema zuwendet. Wir sprechen in Deutschland jährlich von circa 10.000 Menschen, die sich das Leben nehmen. Das ist eine signifikante Zahl und dahinter verbirgt sich 10.000-fach schweres Leid.

DOMRADIO.DE: Was ist ein konkretes Ziel dieser Woche?

Wittmann: Das erste Ziel ist, das Thema aus der Tabuzone herauszuholen und Bewusstseinsbildung zu betreiben. Es ist wichtig, die Gesellschaft und damit die Menschen über dieses Phänomen aufzuklären, dass sich unter uns Menschen das Leben nehmen. Neben dieser Aufklärung und der Enttabuisierung wollen wir natürlich auch Wissen vermitteln und Hilfen an die Hand geben.

Das Ziel ist es, sensibler für diese Menschen in der Not zu werden, mit ihnen in Kontakt zu treten und sie zu unterstützen. Sie müssen aus dieser Falle – so nenne ich es mal – also aus dieser Engführung ihrer Wahrnehmung herausfinden.

DOMRADIO.DE: Geht es insbesondere um die Menschen, die auch an Depressionen leiden – also nicht um die, die jetzt aufgrund einer Erkrankung sagen, dieses Leiden zu verkürzen?

Wittmann: Die Ursachen dafür, dass jemand an diesen Punkt kommt, sich für einen Suizid zu entscheiden und ihn zu begehen, sind sehr unterschiedlich.

Dazu gehören selbstverständlich psychische Krankheiten als Auslöser. Sie sprechen die Depressionen an. Die Ursachen dafür sind ganz unterschiedlich: seelische Nöte, Vereinsamung oder soziale Nöte und schließlich auch körperliche Gebrechen. 

Entsprechend vielfältig sind auch die Angebote oder die Unterstützungsmaßnahmen, an die man sich wenden kann oder mit denen wir darauf reagieren.

DOMRADIO.DE: Welche Art von Unterstützung brauchen denn die Menschen, um einen Ausweg zu finden und eben nicht den Weg des Suizids zu wählen?

Wittmann: Die Not ist so groß, dass sie zu einer Einengung der Perspektive führt. Menschen, die vor diesem Schritt stehen und den Gedanken haben, sich das Leben zu nehmen, sind in der Regel fixiert auf diese Idee und haben eine sehr eng geführte Wahrnehmung hin auf diesen letzten Schritt, auf diese Tat.

Das, was wir in unseren Unterstützungsangeboten leisten wollen, kann prinzipiell auch jeder Einzelne leisten. Sofern man darauf verwiesen wird, dass jemand in seiner Umgebung gefährdet ist, kann man sich der Person zuwenden, ihr zuhören und sich ihr annähern. 

Das heißt, man muss ein Stück weit sensibel und offen für diese Verzweiflung sein, ohne selbst mit in diese Verzweiflung zu gehen.

DOMRADIO.DE: In vielen Fällen ist es ja so, dass Menschen gar nicht mitbekommen, dass jemand Suizidgedanken hat. Man merkt oft erst hinterher, dass dieser Mensch Unterstützung gebraucht hätte. Wann muss man denn damit ansetzen, dass eine Hilfe nicht zu spät ist?

Wittmann: Wenn Sie mich fragen, dann geht das über die ganz allgemeine Ebene, die uns alle betrifft. Das ist unser unmittelbares, familiäres oder freundschaftliches Umfeld. Das sind die Kontakte, in denen wir tagtäglich stehen und die wir wahrnehmen.

Wir können ja erkennen, ob wir in einer lebendigen Beziehung stehen oder sich jemand eher zurückzieht. Das muss natürlich noch kein Grund sein, dass diese Person sich das Leben nehmen möchte. Es kann aber ein Anzeichen dafür sein, dass es ihr nicht gut geht. Womöglich hat sie etwas erlebt und ist in einer Situation, die es ihr schwer macht, in einen Kontakt zu treten.

Wenn wir in unserem familiären oder freundschaftlichen Umfeld eine solche Person wahrnehmen, die ein solches Verhalten zeigt, ist es das Natürlichste, dass wir einen Schritt auf sie zugehen. Vielleicht kann man die Person in den Arm nehmen und nachfragen, wie es ihr geht. Wenn wir dieses mitmenschliche Verhalten an den Tag legen und selber auch leben, dann ist es gewissermaßen die erste Prävention.

DOMRADIO.DE: Was thematisiert das Erzbistum Köln zur "Woche des Lebens" besonders?

Wittmann: In der kommenden Woche geht es darum, das Thema an die Öffentlichkeit zu bringen. Das ist eine ökumenische Woche, insofern sind beide Kirchen beteiligt – auch hier auf dem Gebiet des Erzbistums oder im Rheinland. Da führen wir zunächst einmal eine Reihe von Veranstaltungen durch, die genau das zum Ziel haben, nämlich dem Thema eine Öffentlichkeit zu geben. 

Das Interview führte Dagmar Peters.

Information: Im Rahmen der Woche für das Leben findet im Erzbistum Köln eine Vortragsreihe mit Viktor Staudt statt. Der Buchautor hat einen Suizidversuch hinter sich.

Vortragsreise Viktor Staudt – Woche für das Leben 2019

"Die Geschichte eines Suizids. Über Depressionen, Ängste und wie es mir jetzt besser geht"

Telefonseelsorge Bonn, 7. Mai, 19:30 bis 21:15 Uhr, Haus der Bildung, Mülheimer Platz/Bottlerplatz, Bonn

Telefonseelsorge Düsseldorf, 8. Mai, 20:00 – 21:45 Uhr, Zentralbibliothek der Landeshauptstadt, Bertha-von-Suttner-Platz, Düsseldorf

Telefonseelsorge Köln, 9. Mai, 19.30 bis 21.15 Uhr, DOMFORUM, Domkloster 3, Köln

Telefonseelsorge Neuss, 10 Mai, 18.00 bis 19.45 Uhr, familienforum edith stein, Schwannstraße 11, 41460 Neuss

Woche für das Leben zu Suizid-Prävention (2019)

Unter dem Motto "Leben schützen. Menschen begleiten. Suizide verhindern" befasste sich die "Woche für das Leben" im Jahr 2019 mit dem Thema Suizidprävention und die vielfältigen Beratungsangebote beider Kirchen für suizidgefährdete Menschen. Vor dem Hintergrund von etwa 10.000 Suiziden und noch deutlich mehr Suizidversuchen in Deutschland pro Jahr will die "Woche für das Leben" den Gründen von Depression und Todeswünschen nachgehen und Wege für eine bessere Prävention und Versorgung suizidgefährdeter Menschen aufzeigen.

Aktion "Woche für das Leben" der Kirchen  / ©  Julian Stratenschulte (dpa)
Aktion "Woche für das Leben" der Kirchen / © Julian Stratenschulte ( dpa )
Quelle:
DR