Die Entwicklung neuer Technologien stellt Religionen vor neue Herausforderungen. Technische Möglichkeiten beeinflussen mehr denn je den Zugriff auf das Leben und die Welt. Das betrifft immer häufiger ethische Kernfragen. Vor allem Hochtechnologien wie Atom- oder Gentechnik werfen Fragen nach einem veränderten Werte-Rahmen auf und fordern die Religionen heraus. Die seit der Aufklärung etablierte Abgrenzung der Wissenschaften und Technologien von den Religionen scheint angesichts dessen revisionsbedürftig.
Mit einer interdisziplinären Tagung leuchten bis Samstagnachmittag der Landesforschungsschwerpunkt "Aufklärung - Religion - Wissen" der Universität Halle und die Nationalakademie der Wissenschaften Leopoldina diese "Schubkräfte zwischen technologischen Entwicklungen und religiösen Diskursen" aus.
"Technologien können Glauben verändern"
Im Zentrum stehen dabei Fragen wie: Wann und weshalb entscheiden sich religiöse Gemeinschaften für die Akzeptanz bestimmter Technologien? Welche Verschiebungen erzeugen Technologien im Glaubenssystem? Und welche Rolle spielen bei alledem nicht-religiöse Gründe wie Integrationsdruck, demografischer Wandel oder (Geo-)Politik?
Leopoldina-Präsident Jörg Hacker konstatierte zum Auftakt am Donnerstagabend in Halle: "Technologien können in sehr vielfältiger Weise den Glauben verändern: Sie können ganz praktisch seiner Verbreitung auf die Sprünge helfen, wie seinerzeit der Buchdruck oder heute die Sozialen Netzwerke, die nicht zuletzt auch islamistische Ideologen nutzen." Hinzu komme ein wachsender dynamischer Einfluss von neuen Technologien auf ethische Bewertungen, etwa mit Blick auf die medizinischen Entwicklungen.
"Das Negative ist nicht immer auszuschließen"
In seinem Festvortrag hob der emeritierte Berliner Philosophie-Professor Hans Poser (78) darauf ab, dass jeder Entwicklung von Technologien ein "Werthorizont" zugrunde liege. Es stellten sich stets vorab die "wertbesetzten Fragen", was das Ziel sei und welche Mittel dafür eingesetzt werden könnten, sollten oder dürften. Jede Technologie entstehe aus einer Idee, die als "wertvoll" erachtet werde.
"Die Technik sucht nach der bestmöglichen Lösung, kann dabei aber nicht immer alle Negative ausschließen", so Poser. "Damit entsteht quasi analog zum leibnizschen Theodizee-Problem ein Technodizee-Problem." Nicht zuletzt habe die Kreativität etwa eines Ingenieurs auch eine schöpferische "Gottesperspektive", die bei der Entwicklung neuer Technologien nicht auf die Sinnhaftigkeit verzichten wolle.
"Skeptische Grundstimmung überwiegt"
Dass das Verhältnis der Kirchen zu technologischen Entwicklungen gegenwärtig nicht gerade spannungsfrei ist, hat nach Einschätzung von Christoph Braß, Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, lange historische Wurzeln. "Die Aufklärungsgeschichte ist insbesondere für die katholische Kirche mit einer langen Kette von Kränkungen verbunden, die sicher einen antimodernistischen Reflex hervorgerufen hat." Bis heute überwiege auf diesem Feld eine skeptische Grundstimmung, so der Leiter der innenpolitischen Abteilung im Bundespräsidialamt.
Zugleich verwies Brass darauf, dass kirchliche Kritik etwa an der Gentechnik nicht darauf abziele, dass ein Wissenschaftler Gott "spielen" wolle: Es geht vielmehr um den Umgang mit dem Forschungsgegenstand, um die Menschenwürde und das Menschenbild. Dem pflichtete Hacker, selbst Mikrobiologe, bei. Die Angst vor biomedizinischen Wissenschaftlern als neuen "Schöpfungsgöttern" werde allenfalls in den Feuilletons ventiliert. Wenngleich die synthetische Biologie inzwischen vielfältige Prozesse von Lebewesen imitieren könne, sei die Wissenschaft dennoch sehr weit davon entfernt, dass man ihr den Status eines "Schöpfergottes" zuschreiben könne, so der Leopoldina-Präsident. "Eine solche Überhöhung ist weder angemessen noch hilfreich."