Nach dem Putschversuch 2016 in der Türkei geriet die Ditib ins Zwielicht. Vorwürfe der Bespitzelung von Gegnern des Präsidenten machten die Runde; als Recep Tayyip Erdogan dann 2018 die Ditib-Zentralmoschee in Köln einweihte, gingen selbst manche wohlmeinende Unterstützer auf Abstand. Mehrere Anläufe braucht es, um einen Interviewtermin mit Türkmen zu vereinbaren. Für das auf Türkisch geführte Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) nimmt sich der Ditib-Chef dann über eine Stunde Zeit.
Katholische Nachrichten-Agentur (KNA): Herr Türkmen, bundesweit gibt es fast 900 Ditib-Moscheegemeinden - welche Aufgaben hat der in Köln sitzende Dachverband?
Kazim Türkmen (Vorsitzender des deutsch-türkischen Moscheeverbands Ditib): Wir vertreten ungefähr die Hälfte der in Deutschland lebenden türkischstämmigen Muslime. Der Bundesvorstand gibt Empfehlungen und macht Angebote für die Gemeindearbeit, koordiniert gemeinsame Aktivitäten und vertritt die Ditib nach außen im Dialog mit Politik und Zivilgesellschaft.
KNA: Das klingt so, als agierten die Gemeinden weitgehend selbstständig.
Türkmen: Solange sich die Gemeinden an die Ditib-Satzung und die in Deutschland geltenden Gesetze halten, ist das so.
KNA: Und wenn nicht?
Türkmen: Steht es uns frei, disziplinarische Maßnahmen im Rahmen der Satzung zu ergreifen.
KNA: Die Ditib hält Kontakt zur Religionsbehörde Diyanet. Können Sie nachvollziehen, dass diese enge Anbindung an den türkischen Staat Kritikern hierzulande ein Dorn im Auge ist?
Türkmen: Ich glaube, das liegt vor allem daran, dass die Aufgabe und Strukturen von Diyanet in Deutschland nicht richtig bekannt sind. Diyanet ist eine staatliche Organisation, das stimmt. Aber sie ist nicht der politischen Meinungsbildung unterworfen und in theologischen Fragen unabhängig.
KNA: Was heißt das?
Türkmen: Die Diyanet entscheidet selbstständig und oft genug auch gegen politische Forderungen. Als zum Beispiel staatliche Stellen das Kopftuchverbot an türkischen Universitäten aufrechterhalten wollten, sprach sich die Diyanet dafür aus, das Verbot zu kippen, weil das Kopftuch zum Islam und das Tragen zur individuellen Freiheit gehört.
KNA: In Deutschland ist eine solche Auffassung umstritten.
Türkmen: Seitens der Ditib stimmen wir uns deswegen auch mit in Deutschland sozialisierten Kollegen ab. Wichtig ist: Der Verband war nie von der türkischen Politik abhängig und wird es auch nie sein.
KNA: Warum sind Sie dann zugleich an der türkischen Botschaft in Berlin als Botschaftsrat für religiöse Angelegenheiten angestellt?
Türkmen: Als Botschaftsrat bin ich für die fast 1.000 Religionsbeauftragten in Deutschland zuständig.
KNA: ...die ihr Gehalt aus der Türkei beziehen...
Türkmen: ..und denen ich in der doppelten Funktion Entscheidungen besser vermitteln kann, die entweder bei der Ditib oder bei Diyanet getroffen werden. Ein Ditib-Vorsitzender sollte dessen ungeachtet sowohl Expertise in Verwaltung wie auch in Theologie mitbringen.
KNA: In Deutschland gibt es inzwischen Studienzentren für Islamische Theologie - was halten Sie davon?
Türkmen: Diese Einrichtungen existieren erst seit wenigen Jahren, es gibt noch keine gewachsenen theologischen Strukturen wie in Ländern der islamischen Welt, zudem ist die Zahl der Absolventen bislang recht gering.
KNA: Ist es da aber nicht kontraproduktiv, wenn die Ditib eine eigene Ausbildung für Religionsbeauftragte anbietet? Warum kooperieren Sie nicht mit den Universitäten?
Türkmen: Wir kooperieren mit diesen bei der Ausbildung von Theologen und unterstützen diese. Unser Angebot ist daher nicht als Konkurrenz zu dem Studium der islamischen Theologie zu verstehen, sondern als Ergänzung. Wer Imam an einer Moschee werden will, braucht eine Fülle an praktischen Kenntnissen. Die wollen wir auf diesem Wege vermitteln. Auch evangelische und katholische Priester durchlaufen schließlich eine praktische Ausbildung.
KNA: Wie beurteilen Sie den Stand der Debatte um den islamischen Religionsunterricht?
Türkmen: Ich lebe seit 2005 in Deutschland und verfolge aufmerksam die Diskussionen. Bis etwa 2014 ging es stetig voran, dann stagnierte die Entwicklung wegen politischer Krisen, die mit der Ditib eigentlich nichts zu tun hatten.
KNA: Die nordrhein-westfälische Landesregierung will an die Stelle eines Beirats eine Kommission setzen, die nicht mehr nur aus Vertretern der großen Islamverbände besteht. Was halten Sie davon?
Türkmen: Wir befinden uns in konstruktiven Gesprächen. Ich habe die Hoffnung, dass wir uns auf ein Modell verständigen können, dass auch für andere Bundesländer wegweisend ist.
KNA: Baden-Württemberg hat unterdessen die bundesweit einmalige Einrichtung einer Stiftung öffentlichen Rechts beschlossen...
Türkmen: ...die unserer Ansicht nach gegen das Neutralitätsgebot des Staates verstößt. Dennoch haben wir unter Bauchschmerzen zugesagt, diese Stiftung für fünf Jahre als Übergangslösung zu installieren, allerdings um einige Korrekturen gebeten. Nach mehreren Monaten Verhandlungen hat man uns dann einen Satzungsentwurf und einen Vertrag vorgelegt, der alle unsere Bedenken und die Kompromisse, die bei diesen Verhandlungen erzielt wurden, komplett ignorierte. Da waren wir gezwungen, Nein zu sagen.
KNA: Anfang des Jahres fand eine Konferenz in der Ditib-Zentrale statt, an der sich auch Vertreter der Muslimbruderschaft beteiligten. Die Vereinigung wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Gibt es für Sie eine rote Linie im Gespräch mit den Muslimbrüdern und anderen radikalen Organisationen?
Türkmen: Es handelte sich um eine theologische Konferenz. Wir stehen bei solchen und anderen Gelegenheiten in Austausch mit sehr vielen verschiedenen Personen. Es gibt zum Beispiel internationale Einrichtungen wie Fatwa-Kommissionen, in denen die Muslimbrüder und andere sitzen. Man muss gerade auch mit denen reden, mit denen man unterschiedliche Ansichten hat. Die katholische Kirche spricht ja auch mit den Piusbrüdern, obwohl diese Gruppe teils sehr kritisch gesehen wird.
KNA: Aber die Piusbrüder fordern im Unterschied zu den Muslimbrüdern keine Todesstrafe für den Abfall vom Glauben. Die Muslimbrüder sind zudem in Teilen der islamischen Welt zumindest umstritten. Deswegen nochmal die Frage: Gibt es rote Linien?
Türkmen: Ich halte es für sinnvoll, den Dialog mit den Muslimbrüdern zu führen. Das bedeutet nicht, dass man deren Haltung akzeptiert. Aber derartige Gespräche können ja auch den Effekt haben, dass diese Gruppierungen sich näher an die eigene Position bewegen. Im vorliegenden Fall wäre das doch durchaus positiv.
KNA: Nach der Affäre um die Bespitzelung von Erdogan-Gegnern in Moscheegemeinden kündigte die Ditib Konsequenzen an. Was ist daraus geworden?
Türkmen: Es wurde eine interne Untersuchung eingeleitet. In den Fällen, wo ein Fehlverhalten von Religionsbeauftragten festgestellt wurde, wurde ihr Beschäftigungsverhältnis bei der Gemeinde und bei Ditib beendet. Desweiteren wurden die internen Veranstaltungen mit den Religionsbeauftragten, den Gemeinden und den Landesverbänden der Ditib besonders intensiviert und unsere Basis in diesen Fragen immer wieder aufgeklärt, um eine Sensibilisierung zu erreichen.
KNA: Abschließend eine Frage an den Theologen: Wie steht die Ditib zum Konzept der Da'wa, einer Missionierung von nicht-islamischen Gesellschaften?
Türkmen: Im Koran gibt es den Gedanken der Mission im eigentlichen Sinne nicht. Der Prophet Mohammed ist demnach lediglich beauftragt, die Botschaft Gottes zu verkünden. Diejenigen, die wollen, sollen glauben - aber niemand ist dazu verpflichtet. Wenn extremistische Gruppen ihre Ziele unter diesem Deckmantel verfolgen, hat das mit dem Islam nichts zu tun. Gewalt, Terror und Zwang sind mit unseren Idealen nicht vereinbar.