Theologe Dally zum Erbe der Reformation in Asien und Afrika

"Kirchen müssen Wächteramt wahrnehmen"

Die Lutherbibel prägt Deutschland bis heute. 500 Jahre nach der Reformation sei ihre Bedeutung im Alltag als reformatorisches Erbe jedoch in vielen asiatischen und afrikanischen Kirchen viel präsenter als hierzulande, sagt Volker Dally. 

Autor/in:
Ingo Lehnick
Neue Lutherbibel / © Karl-Josef Hildenbrand (dpa)
Neue Lutherbibel / © Karl-Josef Hildenbrand ( dpa )

Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) mahnt der Theologe und Generalsekretär der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) die Kirchen, "ihr prophetisches Wächteramt als ein kritisches Korrektiv zu staatlicher Politik" wahrzunehmen.

epd: Die Vereinte Evangelische Mission (VEM) ist eine internationale Kirchengemeinschaft. Welche Bedeutung hat das 500. Jubiläum der Reformation für die VEM-Mitgliedskirchen in Asien und Afrika?

Dally: Die Mehrheit der reformatorischen Christen lebt heute in Asien und Afrika, das Jubiläum spielt deshalb auch dort eine wichtige Rolle. Seit Beginn des Jahres und um den Reformationstag herum gibt es eine Reihe von interessanten Veranstaltungen und Projekten. Die Inhalte unterscheiden sich durchaus von den Themen in Deutschland. So liegt der Fokus etwa auf der Ankunft des reformatorischen Evangeliums in Indonesien oder Tansania. Die Christen fragen sich beispielsweise, was es im 21. Jahrhundert bedeutet, als Lutheraner in Tansania oder als Reformierter auf der Insel Java zu leben. Eine indonesische Kirche hat den Heidelberger Katechismus auf die heutigen Herausforderungen für Christen auf der Insel Java übertragen.

epd: Was können wir von diesen Kirchen lernen?

Dally: Vor allem das öffentliche Bekenntnis zum Christsein. Die protestantischen Kirchen in Asien und Afrika nehmen ihr prophetisches Wächteramt als ein kritisches Korrektiv zu staatlicher Politik sehr mutig wahr. In Tansania habe ich erlebt, dass ein Bischof bei seiner Amtseinführung dem Regierungsvertreter vor der versammelten Öffentlichkeit vorhielt, welche Versprechungen die Politik nicht umgesetzt hat. Auch die Bedeutung der Bibel im Alltag ist als reformatorisches Erbe in vielen asiatischen und afrikanischen Kirchen viel stärker präsent als bei uns. Sie sagen: Luther hat die Bibel ins Deutsche übersetzt und wir haben die Bibel in Suaheli oder Batak, damit die Menschen sie lesen, darüber diskutieren und miteinander ins Gespräch kommen. Vermisst wird in Deutschland häufig auch ein Beten, das mehr ist als eine Pflichtübung, etwa zu Beginn einer Sitzung.

epd: Welche reformatorische Botschaft ist den Christen in den Mitgliedskirchen der VEM wichtig?

Dally: Das ist durchaus vielfältig. Die Baptisten betonen beispielsweise andere Aspekte als die Lutheraner. Allen gemeinsam ist aber der Mut zur Freiheit des Evangeliums. Das würden zwar auch deutsche Kirchen unterschreiben, bemerkenswert sind aber die unterschiedlichen Folgen im Alltag. Wenn ich als Christ in einer muslimisch geprägten und für Christen eher feindlichen Umwelt in Nordsumatra lebe, hat das Bekenntnis zum Evangelium eine ganz andere Bedeutung als in Wuppertal. In Aceh/Sumatra riskiere ich, dass es mir dadurch schlechter geht. Viele unserer Mitgliedskirchen beschäftigt die Frage, wie sie mit der zunehmenden Radikalisierung von Religion umgehen sollen: Was setzen wir dieser Entwicklung entgegen, um deutlich zu machen, dass der christliche Glaube ein Glaube der Liebe und der Versöhnung ist?

epd: Wie passen Mission und Reformation zusammen und was heißt Mission heute?

Dally: Zunächst einmal sollten wir uns beim Blick in die Geschichte vor dem Generalverdacht hüten, dass Mission automatisch mit Kolonialismus einhergeht - das stimmt so nicht und unsere Mitglieder in Asien und Afrika differenzieren hier sehr genau. Statt zu generalisieren, sollten wir immer den einzelnen Missionar in den Blick nehmen. Erfolgreich und nachhaltig ist eine Mission, die sich ganzheitlich um den Menschen kümmert, also um Körper und Seele, Geist und Materielles.

Die Missionsgesellschaften des vergangenen Jahrhunderts haben die Verkündigung des Evangeliums deshalb verknüpft mit der Gründung von Schulen und Krankenhäusern. Evangelisation darf nicht getrennt werden vom Engagement für Entwicklung und Menschenrechte, das sind zwei Seiten einer Medaille und das soll nach dem Willen unserer Mitgliedskirchen auch so bleiben. Mission braucht die Verkündigung des Evangeliums mit dem Wort und mit der Tat.


Generalsekretär der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) Volker Dally / © Uwe Moeller (epd)
Generalsekretär der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) Volker Dally / © Uwe Moeller ( epd )
Quelle:
epd