Theologe Hennecke über Wege aus der Krise der katholischen Kirche

Gestalten statt verwalten

Leere Kirchen, kaum Priesternachwuchs, überaltete Gemeinden. Die katholische Kirche muss sich verändern, um auf die Herausforderungen der Zeit zu reagieren, sagt der Theologe und Autor Christian Hennecke. Ein Interview über Krise und Erneuerung.

Leere Kirchenbänke, wenig Priesternachwuchs (KNA)
Leere Kirchenbänke, wenig Priesternachwuchs / ( KNA )

domradio.de: Sie haben als Regens viele Jahre Neupriester ausgebildet. Derzeit leiten Sie das Seelsorgeamt im Bistum Hildesheim. Ist das bisherige System der Kirche wirklich am Ende, wie es etwa der Regens im Bistum Münster, Hartmut Niehues, meint?

Christian Hennecke (Theologe und Autor): Ich denke, da hat er in gewisser Weise recht, weil schon seit 40 bis 50 Jahren zu erkennen ist, dass ein bestimmtes Gefüge von Kirche-Sein und Christ-Sein zerbröselt. Das kann man an statistischen Daten wunderbar festmachen. Es ist aber nicht so, dass ich deswegen sagen würde, dass diese Kirche an sich am Ende ist. Sondern es ist eine tiefgreifende Veränderung im Gange.

Deswegen würde ich auch nicht sagen: Früher war es besser, heute ist es schlechter oder umgekehrt. Statt dessen würde ich es so ausdrücken: Es passiert etwas, was wir in unserem Kirchenverständnis drin haben. Nämlich, dass sich Kirche immer wieder erneuert und dass Kirche immer wieder in einer anderen Gestalt und in anderer Weise auf die Herausforderungen der Zeit antworten will.

domradio.de: Wenn es um die Zukunft geht, heißt es seit Jahren: Mehr Verantwortung für die Nichtpriester, die Laien. Aber kann man wirklich alle Aufgaben der Priester bei ehrenamtlichen Helfern parken?

Hennecke: Wenn Sie das so formulieren, heißt das ja im Grunde genommen, wir suchen immer noch nach einer Ersatzlösung. Das heißt, wir haben weniger Hauptberufliche oder weniger Priester. Und deshalb kommen jetzt die Laien endlich dran. Ich glaube, das wäre keine Gewinnsituation für beide Seiten. Dann würde man nämlich eigentlich sagen: Das, was Priester tun, können auch andere tun. Und umgekehrt: Ihr seid alle Ersatzleute, weil jetzt keine Priester mehr da sind. Ich sehe das etwas anderes. Ich würde sagen, wir entdecken in dieser Krise nochmal neu, was genau der Dienst des Priesters ist. Wie viele Priester wir dafür brauchen, ist dann die nächste Frage.

Das Zweite, was wir entdecken, ist: Wir haben die sogenannten Laien wahrscheinlich über lange Jahre als zu Versorgende gesehen. In Wirklichkeit ist es aber ganz anders. Alles, was in der Kirche geschieht, geschieht dazu, dass Christen befähigt sind, ihren Dienst in der Welt und in der Kirche zu tun. Das heißt, es geht nicht darum: Wenn der eine da ist, braucht der andere nichts zu tun und umgekehrt. Sondern jeder hat seine spezifische Aufgabe und in dieser Krise der Erneuerung können wir das neu entdecken.

domradio.de: Theologen wie Manfred Lütz oder der ehemalige Münsteraner Pfarrer Thomas Frings sagen, wir haben vor allem eine Gotteskrise und nur nachgeordnet eine Kirchenkrise. Wenn die Leute aber nicht mehr an Gott glauben, dann nützt auch die beste Kirchenreform nichts, oder?

Hennecke: Das ist ganz zweifellos wahr. Nur zunächst einmal stehen da verschiedene Fragen an. Was heißt denn genau die christliche Identität, der Glaube an Gott und die Begegnung mit Jesus Christus? Das lässt sich strukurell und institutionell sowieso nicht festlegen. Wir brauchen in der Tat wieder neue Zeugniskraft aller Getauften. Wir brauchen Menschen, die eine Christuserfahrung haben und die ein inneres, lebendiges und auch begeisterndes Bild von dem haben, was es heißt, als Christ zu leben. Da, wo das so ist in unserer Kirche, ist auch viel Leben - keine Frage. Und da, wo das nicht so ist, zerbröselt es uns unter den Fingern. Das ist so. Aber, ich würde nicht sagen, dass die Menschen heute viel, viel weniger an Gott glauben, als zu anderen Zeiten.

domradio.de: Was macht Sie denn am Ende des Tages zuversichtlich, wenn Sie an die Zukunft der Kirche denken?

Hennecke: Zuversichtlich machen mich immens viele Erfahrungen - weltweite Erfahrungen und auch die, die ich in Gemeinden und Pfarreien erlebe. Ich sehe überall Menschen, die mit sehr hoher Energie und Leidenschaft versuchen, ihre Kirche am Ort zu gestalten. Ihnen fehlen häufig ein inneres Bild und auch Unterstützung und Begleitung in ihren Werdeprozessen. Aber sie sind auf dem Weg und im Werden. Ich glaube, das Paradigma der Zukunft hat ganz viel mit Entwicklung und Werden zu tun und nicht mit der Suggestion: Wir haben hier einen vorfindlichen Glauben, den muss man nur irgendwie verwalten.

Das Interview führte Daniel Hauser.


Christian Hennecke, Leiter der Hauptabteilung Pastoral im Bistum Hildesheim / © privat
Christian Hennecke, Leiter der Hauptabteilung Pastoral im Bistum Hildesheim / © privat
Quelle:
DR