Theologe Hilpert: Entlassung von RAF-Terroristen nicht an Reue binden

Gegen Stammtischargumente

Der Münchner Moraltheologe Konrad Hilpert hält nichts davon, die vorzeitige Entlassung von inhaftierten RAF-Terroristen an Bedingungen wie das Zeigen von Reue zu binden. Der Gesellschaft stehe es nicht zu, dies zu verlangen, zudem könne "echte Reue" von außen weder überprüft noch erzwungen werden. Dennoch gebe es im Laufe einer langen Inhaftierung bestimmte Hinweise darauf, dass Menschen sich verändert haben. Das sollten die Täter auch den Hinterbliebenen der Opfer mitteilen. In jedem Fall dürfe die Debatte nicht nach Stammtischart geführt werden.

 (DR)

Im Falle einer vorzeitigen Entlassung würden die Betroffenen nicht für schuldlos erklärt, erinnerte der katholische Theologe. Eine solche Entscheidung fuße lediglich auf der Erkenntnis, dass von den einstigen Terroristen keine Gefahr mehr ausgehe. Hilpert räumte aber ein, dass man natürlich auf die Gefühlslage der Angehörigen von Terroropfern Rücksicht nehmen müsse. Ihre Trauer und ihre Wut könne und dürfe ihnen niemand wegnehmen oder wegreden. "Aber vielleicht ist es auch gut, dass die Angehörigen nicht selbst über eine vorzeitige Haftentlassung zu entscheiden haben." Dies sei Sache von Fachleuten.

In Gnadenakten bringe der Rechtsstaat zum Ausdruck, dass er selbst um seine Unvollkommenheit wisse, betonte Hilpert. Denn die Rechtsprechung erfolge auf der Grundlage von geltenden Gesetzen und der erreichbaren Beweislage. Beides habe immer auch seine Mängel. "Die Herstellung der absoluten Gerechtigkeit müssen und dürfen wir auch im Rechtsstaat dem letzten Urteil Gottes überlassen."

Das Interview im Wortlaut
KNA: Herr Professor Hilpert, sollen die RAF-Terroristen Mohnhaupt und Klar freigelassen werden?

Hilpert: Zuerst sollte man daran erinnern, dass die beiden auch bei einer vorzeitigen Freilassung nicht für schuldlos erklärt würden. Die Schuld ist durch die Haftzeit nicht gesühnt. Eine vorzeitige Entlassung würde auf der Erkenntnis von Fachleuten fußen, dass von Mohnhaupt und Klar keine Gefahr mehr ausgeht. Man würde ihnen damit aber die Möglichkeit geben, nach langer Zeit ihr restliches Leben unter anderen Bedingungen zu verbringen.

KNA: "Nicht 7, sondern 77 Mal sollst Du vergeben", sagt Jesus zu Petrus. Das ist ein hoher Anspruch. Muss das angesichts schlimmster Verbrechen den Menschen nicht überfordern?

Hilpert: Dieser Satz lässt sich nicht eins zu eins in die politische und rechtliche Praxis übersetzen. Jesus erwartet dies sicher auch nicht. Es geht vielmehr darum, dass der Impuls zur Versöhnung beim Menschen immer da sein sollte. Es gibt eben das Böse in der Welt. Allerdings bewegen wir uns in Sachen vorzeitige Haftentlassung nicht nur auf dem Feld moralischer Appelle, sondern im Rahmen einer staatlichen Rechtsordnung. Und die kann sich nicht allein auf biblische Intentionen gründen.

KNA: Aber auch der Staat kann Gnade walten lassen...

Hilpert: Richtig. Damit kann der Rechtsstaat etwas von dem angesprochenen christlich fundierten Impuls umsetzen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Inhaftierung oder die Bestrafung derart zu gestalten, dass sie nicht einfach nur ein Versuch der Vergeltung oder gar der Rache ist. Dabei schwingt das Bewusstsein mit, dass Gerechtigkeit nur bedingt herstellbar ist. Das Gericht Gottes ist auf Erden nicht machbar. Die Gesellschaft sollte deshalb auch den Versöhnungsgedanken rechtlich buchstabieren.

KNA: Wie aber steht es um die Gefühle der Angehörigen der Terroropfer? Die Witwe von Hanns-Martin Schleyer hat eine mögliche Haftentlassung abgelehnt. Welche Bedeutung hat das für die Entscheidung?

Hilpert: Natürlich muss man auf die Gefühlslage der Angehörigen von Terroropfern Rücksicht nehmen. Ihre Trauer, ihre Wut und ihre Gefühle kann und darf ihnen niemand wegnehmen oder wegreden. Aber vielleicht ist es auch gut, dass die Angehörigen nicht selbst über eine vorzeitige Haftentlassung zu entscheiden haben. Es muss den Fachleuten überlassen bleiben, die Möglichkeit eines Rückfalls beim einstigen Täter genau zu prüfen; und auch ob sie eingesehen haben, dass ihre Taten falsch und menschenfeindlich waren.

KNA: Beide Häftlinge haben ihr Tun aber bisher nicht bereut. Wäre dies nicht notwendig, um Vergebung erwarten zu können?

Hilpert: Ich glaube, es ist von außen sehr schwer feststellbar, ob die Betroffenen Reue im theologischen Sinne einer radikalen
Ab- oder Umkehr gezeigt haben. Es steht der Gesellschaft auch nicht zu, dies zu verlangen. Echte Reue ist etwas Innerliches, was von außen gar nicht überprüft, geschweige denn erzwungen werden kann. Dennoch gibt es im Laufe einer langen Inhaftierung bestimmte Hinweise darauf, dass Menschen sich verändert haben.
Das könnte sich beispielsweise an der äußeren Ernsthaftigkeit ablesen lassen, die wahrscheinlich macht, dass jemand nicht auf seinen alten Weg zurückkehrt. Und natürlich könnten die Täter den Hinterbliebenen so etwas auch mitteilen. Das wäre zweifellos wünschenswert.

KNA: Beide RAF-Terroristen haben nie Details über die Morde preisgegeben. Ist es moralisch gerechtfertigt, einen Gnadenakt von Bedingungen abhängig zu machen?

Hilpert: Michael Buback, Sohn des von der RAF 1977 ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback, hat gesagt, dass er bis heute nicht weiß, wer seinen Vater erschossen hat. Es stört ihn, dass der Täter selbst nach 24 Jahren verbüßter Strafe nicht zur Klärung über den Ablauf der Tat beiträgt und dennoch Gnade erwartet. Ob dieser Einwand allerdings so zu gewichten ist, dass man davon die Entscheidung über die Begnadigung abhängig macht, weiß ich nicht. Dies hängt auch mit juristischen Detailfragen zusammen. Möglicherweise wurden im vorliegenden Fall ja auch Täter geschützt, die bisher nicht belangt wurden. Eine vorzeitige Freilassung käme dann moralisch gesehen einer Großzügigkeit gleich, weil sie darüber hinwegsieht. Da liegt schon ein Problem.

KNA: Warum muss es Gnadenakte in einem funktionierenden Rechtsstaat geben?

Hilpert: Der Rechtsstaat bringt damit zum Ausdruck, dass ihm bewusst ist, keine absolute Gerechtigkeit herstellen zu können.
Die Rechtsprechung erfolgt immer nur auf der Grundlage von geltendem Recht und der erreichbaren Beweislage. Beides hat immer auch seine Mängel. Die Herstellung der absoluten Gerechtigkeit müssen und dürfen wir auch im Rechtsstaat dem letzten Urteil Gottes überlassen. Ich wünsche mir, dass die Argumente in dieser Debatte nicht nach Stammtischart ausgetauscht werden. Auch Leute, die nicht so politisch informiert sind, sollten akzeptieren, dass sich Menschen in 24 Jahren Haftzeit ändern können.

Interview: Barbara Just (KNA)