DOMRADIO.DE: Waren Sie überrascht, als es Sonntagmittag aus Rom hieß, der Papst wolle die Weltsynode verlängern?
Prof. Dr. Thomas Söding (Mitglied im Präsidium Synodaler Weg in Deutschland): Überrascht hat mich allenfalls der Zeitpunkt. Diese Entscheidung halte ich für konsequent. Sie ist notwendig, und ehrlich gesagt ist sie auch überfällig. Sie ist konsequent, weil Synodalität nicht nur punktuell gedacht werden kann.
Sie ist notwendig, weil sich im Vorfeld gezeigt hat, dass der Problemdruck in der katholischen Kirche enorm groß ist. Und sie ist auch überfällig, weil diese Verengung der Synodalen auf die Bischöfe doch eine veritable Verfassungskrise in der katholischen Kirche anzeigt, die dringend bearbeitet werden muss.
DOMRADIO.DE: "Die Synode ist kein Ereignis, sondern ein Prozess", so heißt es in der Erklärung des Synodensekretariats. Hat man nun auch in Rom gemerkt, dass dieser Prozess doch mehr Zeit benötigt, als das ursprünglich geplant war?
Söding: Es ist nicht völlig analogielos. Es gab auch schon frühere Synoden, die mehrere Phasen hatten, mit Vorsynoden, mit längeren Prozessen. Das Entscheidende bei einem synodalen Prozess ist ja zweierlei: Zum einen, dass man tatsächlich viele Menschen zusammenholt, die von der Sache des Glaubens bewegt sind.
Zum Zweiten, dass man sich genügend Zeit für diesen Weg nimmt, den man sich gemeinsam vorgenommen hat und den man dann auch verbindlich zu einem Ende führen muss. Die bisherigen Formate der römischen Weltbischofssynoden haben sicherlich ihre Verdienste. Aber für die Herausforderungen heute sind sie unzureichend.
DOMRADIO.DE: Papst Franziskus wünscht mehr Laienbeteiligung an der Weltsynode. Wie sollen denn nun solche Debatten im "Volk Gottes" aussehen?
Söding: Das Wichtigste ist zunächst einmal, dass das Problem erkannt wird. Denn seien wir ehrlich, die sogenannten Laien sind ja auf vielen Feldern die eigentlichen Experten, insbesondere wenn es um die Verschränkung zwischen dem Glauben und dem Leben der Menschen heute geht.
Tatsächlich ist die katholische Kirche auf dem Weg gewesen, die Repräsentation der Ortskirchen ausschließlich durch Bischöfe zu garantieren. Das hatte auch nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil einen positiven Effekt, weil nämlich dort der Papst aus seiner Einsamkeit herausgeholt und stärker in das Kollegium gestellt worden ist.
Aber wir erleben gegenwärtig eine weltweite Krise des Bischofsamtes – Stichwort: systemischer Missbrauch, der ein Führungsversagen anzeigt. Wie erleben gleichzeitig eine Fülle von verschiedenen geistlichen, sozialen, politischen Aufbrüchen in der katholischen Kirche. Das gilt es einzufangen. In Deutschland haben wir dafür auf dem Synodalen Weg eine Form gefunden, die uns handlungs- und sprachfähig sein lässt.
DOMRADIO.DE: Ist das Ganze möglicherweise eine riesengroße Chance für die katholische Kirche?
Söding: Dieser gesamte synodale Prozess ist eine große Chance für eine wirkliche Umkehr und Erneuerung der katholischen Kirche. Es ist wichtig, dass die Kirche nicht nur über sich selbst spricht. Es wäre absurd, wenn jetzt nun über Jahre hinweg nur einfach die Idee von Synodalität rauf und runter dekliniert würde.
Im Kern geht es ja um die Frage, wie der Glaube heute entdeckt und vermittelt werden kann. Aber dafür müssen eben auch die kommunikativen Strukturen in der katholischen Kirche stimmen. Sie stimmen gegenwärtig nicht. Wir brauchen mehr Beteiligung des ganzen Kirchenvolkes. Von daher ist die Ansage gut. Nun müssen allerdings auch Taten folgen.
Ich glaube, dass viele Initiativen notwendig sind. Deutschland, Europa, Lateinamerika, Australien, überall tut sich im Moment etwas. Und das scheint in Rom angekommen zu sein.
DOMRADIO.DE: Hat diese Verlängerung der Weltsynode jetzt auch Auswirkungen auf den weiteren Verlauf des Synodalen Wegs in Deutschland?
Söding: Der Synodale Weg in Deutschland hat ja seine eigene Thematik. Er hat auch seine eigene Form gefunden und er hat schon insofern vorausgedacht, als zweierlei klar ist: Im März 2023 gibt es die fünfte und letzte Synodalversammlung, in der diese Hauptthemen, die aus der Aufarbeitung des Missbrauchs abgeleitet worden sind, bearbeitet werden.
Dann gibt es eine neue Form, den Synodalen Ausschuss und den Synodalen Rat. Dieses Projekt wird einfach ganz konsequent und seriös weiterverfolgt. Aber wir sehen jetzt, dass die Verfassungsprobleme, die wir auf dem deutschen Synodalen Weg identifiziert haben und die wir nun im Rahmen des Kirchenrechts zu verändern versuchen, Probleme in der ganzen Kirche sind. Über Veränderungsprozesse freue ich mich.
Das, was wir in Deutschland machen, ist nicht der Exportschlager für die ganze römische Weltkirche, aber eine Form, nämlich Beraten und Entscheiden verbindlich aufeinander zu beziehen. Das muss in anderen Ländern anders geregelt werden. Die Hauptsache ist, dass dieser Prozess angelegt wird. Und offensichtlich will Rom nicht bremsen, sondern diese Entwicklung fördern.
DOMRADIO.DE: Papst Franziskus hat mehrfach in sehr emotionalen Predigten vor einer immer stärkeren Polarisierung in der Kirche gewarnt und hat damit sowohl den Liberalen als auch den Konservativen gleichermaßen die Leviten gelesen. Erwarten Sie in Rom eine ähnlich heftige Auseinandersetzung wie beispielsweise auch bei der letzten Synodalversammlung in Frankfurt, wo es ja richtig gekracht hat?
Söding: Es hat gekracht, aber viele sagen auch, das war ein reinigendes Gewitter, weil nämlich deutlich geworden ist, dass die Bischöfe ihre pastorale Verantwortung in der Kirche - auch was die Lehre anbelangt - so wahrnehmen, dass die Kluft zwischen den Gläubigen und den Bischöfen nicht größer wird.
Ich habe eine klare Erwartung an den römischen Synodalprozess, dass die Probleme nämlich nicht vertuscht werden, sondern tatsächlich auf die Tagesordnung kommen, dass es keine Denktabus gibt und dass so etwas wie eine Best Practice-Übung organisiert wird.
Bei aller Selbstkritik, die in den einzelnen Ländern geübt werden muss, müssen doch auch diese ganz interessanten und wegweisenden neuen Formen der Beteiligung diskutiert werden und dann auch künftig das Leben der katholischen Kirche stärker bestimmen.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.