DOMRADIO.DE: Was stört Sie an der Sprache, die in Kirchen benutzt wird?
Andreas Malessa (Evangelischer Theologe und Buchautor): Der Versuch, das Abstrakte zu verdinglichen, versinnbildlichen, zu verbalisieren. Es sind lauter Dinge, die nicht gegenständlich sind. Dazu gehören Glaube, Liebe, Hoffnung, Gnade, Erlösung, Heil. Diese Dinge irgendwie zu verdeutlichen, ist an sich schon schwer.
Ich ziehe den Hut und lobe jene Priester, Pfarrerinnen und Pfarrer, die nicht nur 52 Mal im Jahr vor das gleiche Publikum treten, sondern in den Wochen dazwischen auch noch bei Geburtstagen, Trauerfeiern, Hochzeiten und Jubiläen sprechen. Sie haben also ein unglaubliches Pensum an kurzen, prägnanten Reden, die sie schreiben und halten müssen.
Daran stört mich, dass dann oftmals substantivierte Verben benutzt werden, die noch in den Genitiv gesetzt werden. Der Kirchentag wird ein Kirchentag des "Wahrnehmens, Hinschauens und Innehaltens" sein.
Da höre ich den Stuhlkreis Selbsterfahrung der 1970er-Jahre sprechen.
DOMRADIO.DE: Sie beziehen sich in Ihrem Buch auch auf "verschwurbeltes Kirchensprech". Haben Sie mal ein Beispiel dafür, wie Kirche ins Lächerliche abrutscht?
Malessa: Der Bamberger Erzbischof Schick sagte zum Beispiel einmal, die Empathielosigkeit der Leute sei nicht "bethlehemkonform" gewesen. Das muss irgendwann an Weihnachten 2018 oder 2019 gewesen sein. Jedes Kind erinnert sich aber noch lebhaft daran, wie herzlos der Wirt beim Krippenspiel Maria und Josef abwies. Dann frage ich mich: Was war "bethlehemkonform"?
Also Juristen entscheiden "verfassungskonform" und Schiedsrichter pfeifen "regelkonform". Ich weiß, was er meint, nämlich von der Liebe und der Barmherzigkeit Gottes geprägt reden und handeln. Aber da geht manches Mal die Metaphorik ins Auge.
DOMRADIO.DE: Besonders allergisch sind Sie gegen einen "Betroffenheitssprech", den Sie ein bisschen böse "wohlfeil ausgewogenes Betroffenheitgesülze" nennen. Das müssen Sie erklären.
Malessa: Wir wollen respektvoll und die Würde des anderen achtend von Menschen mit dunkler Hautfarbe, von Frauen, von Behinderten, von Benachteiligten, von Flüchtlingen, Ausgegrenzten, von Schwulen und so weiter sprechen. Es gibt also zunehmend Gruppen, die sich diskriminiert fühlen, sich auch manches Mal ein bisschen als Opfer präsentieren, dann aber gleich außer Kläger auch Richter sein wollen, also anderen vorschreiben, wie von ihnen zu reden sei.
Da wird es schwierig, wenn wir dann nur noch in Partizipialkonstruktionen reden. "People of color" statt Schwarze zum Beispiel. Ich habe ganz viel mit Gospel-Gruppen zu tun. Ich habe zwei Musicals geschrieben, in denen es um Afroamerikaner und Sklaven-Geschichte geht. Es wird gar nicht mehr hingehört, wie die von sich selber reden. Sondern selbst ernannte Linguisten und Soziologen und Feuilletonisten bestimmen, wie zu reden sei.
Das finde ich schwierig. Ich würde sagen, dass wir doch den Leuten zuhören sollten, wie sie von sich selbst sprechen und das dann übernehmen. Wir sollten aber keine unglaublich verkomplizierte Sprache verwenden.
DOMRADIO.DE: Gibt es eigentlich einen sprachlichen Unterschied zwischen katholischer und evangelischer Kirche?
Malessa: Ja, der "evangelische Kirchensprech" ist noch stärker vom Sozialpädagogischen geprägt. Die katholische Kirche hingegen ist zunehmend vor allen Dingen in ihren Gremien und ehrenamtlichen Sitzungen von Roland Berger- und McKinsey-Sprech, einer gewissen Unternehmens-Nischen-Sprache geprägt.
Besonders wenn es in katholischen Gremien um Macht geht, wird nichts verboten oder abgestraft, sondern es heißt dann: "Ich möchte Sie einladen, noch mal auf dieses Budget oder die Gesetzeslage zu schauen" oder "ich bin irritiert", "ich lege mal meins daneben", "ich muss das erst mal sacken lassen". Diese Begriffe fallen, wenn man etwas für eine Schnapsidee hält.
Da merke ich Machtverschleierung durch sensible Sprache und vor allen Dingen das Etikett Augenhöhe. Beides wird im katholischen Bereich stärker verwendet als im evangelischen.
DOMRADIO.DE: In der evangelischen Kirche steigen Sie selbst auch immer mal wieder auf die Kanzel, um zu predigen. Wie halten Sie es denn dann selbst?
Malessa: Ich überarbeite wahrscheinlich noch kritischer als andere die eigenen Texte. Ich habe den Vorteil, nicht 52 Mal im Jahr vor demselben Publikum sprechen zu müssen, sondern je nach Reaktion des Publikums bundesweit ein und dieselbe Predigt mehrmals überarbeiten zu können. Das ist eine große Gnade. Ich behaupte auch nicht, der Beste zu sein oder der Bessere.
Dieses Buch ist auch kein Ratgeber-Buch, sondern ich verweise darauf, dass alle beruflichen Nischen und Branchen eigentlich eine eigene Sprache entwickeln. Das wäre prinzipiell nichts Schlimmes, wenn es authentisch, ehrlich, personenbezogen, konkret und realitätsnah ist.
Wenn also das - übrigens auch in Gottesdiensten - anspruchsvoller gewordene Publikum merkt, der ist ehrlich, der redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, dann wird das gutiert. Es ist besser, lieber mal einen Fehler zu machen, auch eine sprachliche Entgleisung oder einen Witz einzubauen, der nicht zündet oder irgendetwas riskieren, als sich immer nur im nebulös unfehlbar Korrekten aufzuhalten.
Das Interview führte Hilde Regeniter.
Information der Redaktion: Das Buch von Andreas Malessa "Am Anfang war die Floskel / Sie werden lachen – die Kirche meint's ernst" ist im bene-Verlag erschienen und kostet 12,00 Euro.