Theologe und Biologe Hagencord über das Tier als Mitgeschöpf

"Kontakt mit Tieren ist wesentlich, um Mensch zu werden"

Die Wertschätzung für Tiere liegt schon in der Bibel begründet, wird aber nicht genügend gewürdigt, findet der katholische Theologe und Biologe Rainer Hagencord. Im domradio.de-Interview plädiert er für ein anderes Selbstverständnis des Menschen mithilfe der Tiere.

Hagencord: Das Tier als Teil der Schöpfung sehen (dpa)
Hagencord: Das Tier als Teil der Schöpfung sehen / ( dpa )

domradio.de: Sie sind katholischer Theologe, Biologe, Tierschützer. Wie ist das alles in einem Institut vereint?

Rainer Hagencord (Leiter des Instituts für Theologische Zoologie): Es geht um ein Projekt, das glaube ich, langsam und schon seit längerer Zeit ansteht, nämlich eine Würdigung des Tieres als unser Mitgeschöpf. Als ich Biologie studierte, ist mir aufgefallen, dass es sehr wohl das Projekt einer Würdigung des Menschen gibt, das was wir christliche Anthropologie nennen. Und dann stellt sich die Frage: Wie ist es mit dem Tier? Mir fiel auf, dass es ein ähnliches Projekt nicht gibt. Und wenn ich sage, dass es Zeit wird, hat das verschiedene Gründe. Einer ist sicherlich, dass Tiere in der Bibel fast auf jeder Seite vorkommen und das nicht nur als Statisten, sondern als zuerst Gesegnete der Schöpfung, das beseelte Gegenüber Adams im Garten Eden, Vorbilder für Jesus, Mitbewohner einer Welt ohne Gewalt, als Bündnispartner Gottes nach der Sintflut und so weiter. Was macht also eine Theologie mit einer Wertschätzung der Tiere, die biblisch begründet ist? Ich finde, viel zu wenig. Hinzu kommt, dass wir in einer Zeit leben, die man im Blick auf die Ökologie als katastrophal erleben kann: Die Tiere verschwinden, jeden Tag werden zehn Arten ausgerottet. Wie verhält sich Kirche dazu? Und wie verhält sie sich zum Skandal der industriellen Tierhaltung, in der Puten, Hühner, Schweine und Rinder behandelt werden als wären es Rohlinge der Fleisch-, Eier- und Milchindustrie. Das sind Fragen, die sich stellen. Das sind Fragen, mit denen wir hier im Institut umgehen.

domradio.de: Wie wird das dann praktisch bei Ihnen im Institut umgesetzt?

Hagencord: Es gibt drei Felder. Das eine ist Wissenschaft und Forschung. Ich bin also mit im Curriculum in der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung und in der Ausbildung von Priestern. Das heißt, die Studierenden kommen regelmäßig in Kontakt mit dem Thema. Dann haben wir den Bereich Katechese und Pädagogik. Denn Erfahrungen, die Kinder machen, haben oftmals mit Tieren zu tun. Der Umgang mit Tieren ist wesentlich für eine religiöse Sozialisierung. Sodass wir damit beschäftigt sind, dieses Thema in Erstkommunion- und Firmkatechese hineinzubringen und auch Materialen und Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer anbieten. Der dritte Bereich sind Kooperationen, zum Beispiel mit Nationalparks, mit Naturschutzverwaltungen oder Zoologischen Gärten. Es geht dabei nicht nur um Tiere sondern auch um die Welt der Pflanzen. Es geht darum, dass wir ein anderes Selbstverständnis von uns Menschen entwickeln, dass wir nicht Herren und Herrinnen über all das sind sondern Mitgeschöpfe. Meine Kindheit ist ohne Tiere nicht denkbar. Und ich glaube, dass der Kontakt mit den Tieren für mich auch wesentlich war, um tatsächlich Mensch zu werden. Diese Kontakte sind aber in meiner Lebensgeschichte nirgendwo theologisch gewürdigt worden. Sie kamen nicht vor in der Grundschule, in der Erstkommunionkatechese, in der Firmkatechese, geschweige denn im Theologiestudium. Das ist eine Theologie mit dem Rücken zum Tier, wie ich das nenne. Und das steht im krassen Widerspruch zur biblischen Theologie.

domradio.de: Man beobachtet ja auch bei Tieren, dass sie immer für einen da sind. Kinder können sich zum Beispiel bei ihrem Haustier auch mal ausweinen. Das bekommt ja auch eine große Bedeutung für den Menschen…

Hagencord: ...und das Tier hat auch eine Weise, das zu verstehen. Da wird nicht etwas hineinprojiziert, sondern die Tiere verstehen etwas. Ich bin ganz oft in Dormagen im Raphaelshaus, eine Einrichtung der Jugendhilfe, in der Lamas, Kamele, Pferde, Schafe und Ziegen als wirkliche Co-Therapeuten eingesetzt werden. Die Tiere haben eine Weise des Verstehens, gerade für Kinder, die aus Missbrauchs- oder Verwahrlosungskontexten kommen. Kinder, denen man vermittelt hat, sie sind nichts wert. Die dann durch den Kontakt mit den Tieren - natürlich eingebunden in andere pädagogische und therapeutische Konzepte – ein neues Selbstwertgefühl erfahren.

Das Interview führte Silvia Ochlast.


Dr. Rainer Hagencord / © Michele Cappiello
Dr. Rainer Hagencord / © Michele Cappiello
Quelle:
DR