Theologe verweist bei Segensfeiern auf Gewissensfreiheit

"Segnen ist kein moralisches Instrument"

Die Ermahnung für einen Priester, der homosexuelle Paare gesegnet hatte, hat im Erzbistum Köln für Kritik gesorgt. Der Theologe Jochen Sautermeister erklärt, welcher Spannung die Gewissensentscheidung der Pfarrer ausgesetzt ist.

Homosexuelles Paar mit Armbändern in Regenbogenfarben / © chayanuphol (shutterstock)
Homosexuelles Paar mit Armbändern in Regenbogenfarben / © chayanuphol ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Die Verantwortlichen des Erzbistums Köln haben ihre Sanktionen gegen das Agieren von Pfarrer Msgr. Ullmann, gleichgeschlechtliche Paare zu segnen, mit Verweis auf die kirchliche Lehre begründet. Kritiker betonen, dass homosexuelle Paare weiterhin in der Kirche diskriminiert und der Kern des Evangeliums verstellt würde. Wie sehen Sie das als Moraltheologe?

Jochen Sautermeister / © Julia Steinbrecht (KNA)
Jochen Sautermeister / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Prof. Dr. Dr. Jochen Sautermeister (Moraltheologe und Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn): Die Sensibilisierung für Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Identität oder geschlechtlichen Orientierung missachtet und diskriminiert werden, hat in den westlichen Gesellschaften erheblich zugenommen. Und mit einer humanwissenschaftlich informierten Anthropologie lassen sich solche Diskriminierungen schwerlich begründen.

Die Seelsorger und Verantwortlichen in der Pastoral sind daher herausgefordert, auf die Situationen und die Leiden dieser Menschen zu reagieren. Im Unterschied zu einer schlichten Verrechtlichung der Pastoral und zu einer "kalten Schreibtisch-Moral" (Franziskus, Amoris laetitia, 312) geht es in der Pastoral und einer sie reflektierenden Moraltheologie immer um persönliche Verantwortung, vernünftige Nachvollziehbarkeit und innere, vom Gewissen getragene Zustimmung.

Diese Spannung zwischen pastoraler Sensibilität, die auf die Hoffnungen und Leiden der Menschen antworten will einerseits und lehramtlicher Regulierung andererseits, erfordert es, angemessene Wege in der Seelsorge zu suchen, die auf Jesu Umgang mit den Menschen, insbesondere mit den Missachteten, Leidenden und Ausgegrenzten rückbezogen sind.

DOMRADIO.DE: Aber stellt sich die Pastoral dann nicht gegen die kirchliche Lehre?

Sautermeister: Die gegenwärtige Situation hat eine gewisse Analogie zu der Zeit, als im Jahr 1968 die Enzyklika "Humanae vitae" mit dem Verbot der künstlichen Empfängnisverhütung erschienen ist. Kurz darauf hat die Deutsche Bischofskonferenz – unter anderem noch mit dem Kölner Erzbischof Josef Kardinal Frings, einem der Konzilsväter – die Königsteiner Erklärung veröffentlicht. Darin wurde das Gewissen der Gläubigen gegenüber einer simplen Befolgung der Vorgaben von "Humanae vitae" gestärkt.

Im Frühjahr dieses Jahres 2023 haben die Mehrheit der Delegierten und der Bischöfe auf der fünften Versammlung des Synodalen Wegs dafür votiert, Handreichungen für Segensfeiern auch für homosexuelle Paare zu erarbeiten und Seelsorgern nicht mehr mit disziplinarischen Maßnahmen zu drohen, die solche Segensfeiern durchführen. Auch hier wird mit gut Gründen die Situation differenziert betrachtet.

Prof. Jochen Sautermeister

"Theologisch gilt: Segnen ist kein moralisches Instrument. In der Segenshandlung ist Gott der Akteur, der alle Menschen liebt."

DOMRADIO.DE: Wenn der Segen mal erteilt und mal verweigert wird, greift man da dem lieben Gott nicht ins Handwerk? Gerade wenn wir bedenken, dass ein Segen doch immer der Beistand Gottes, seine Zusage ist?

Sautermeister: Papst Franziskus hat bereits zu Beginn seiner Amtszeit mit Blick auf homosexuelle Menschen gesagt: "Wer bin ich, ihn zu verurteilen?". Das hat damals schon aufhorchen lassen. Theologisch gilt: Segnen ist kein moralisches Instrument. In der Segenshandlung ist Gott der Akteur, der alle Menschen liebt.

Gerade deshalb sind Ausgrenzungen und Diskriminierungserfahrungen wie die Verweigerung eines Segens als besonders schwerwiegend einzuschätzen.

Prof. Jochen Sautermeister

"In der katholischen Kirche gibt es eine lange Tradition, die als pastorale Klugheit umschrieben wird."

DOMRADIO.DE: Pfarrer Ullmann hat die Perspektive eines Seelsorgers vertreten, der auf den Wunsch von Gläubigen eingeht, gesegnet zu werden. Daneben gibt es aber auch das Responsum der Glaubenskongregation aus dem Jahr 2021, das die Segnung homosexueller Paare verbietet. Beides ist nicht in Einklang zu bringen. Welche theologisch-ethischen Kriterien können dann Seelsorgern vor Ort weiterhelfen?

Sautermeister: In der katholischen Kirche gibt es eine lange Tradition, die als pastorale Klugheit umschrieben wird. Damit bezeichnet man die Haltung von Seelsorgern, die der Lebenswirklichkeit und Biografie von Menschen in ihrer je spezifischen Lebenssituation gerecht werden wollen, auch wenn das mit dem Kirchenrecht im Konflikt stehen mag.

Dahinter steht die theologisch-ethische und existenzielle Einsicht, dass die konkrete Lebenswirklichkeit des Einzelnen grundsätzlich nicht durch allgemeine Normen und Regeln so erfasst werden kann, dass sie der Gewissensentscheidung enthoben wäre.

Prof. Jochen Sautermeister

"Seelsorge ist anspruchsvoll, aber es geht hierbei ja um nichts weniger als um das Leben von Menschen und das Evangelium. Deshalb kann und darf ein Seelsorger sich auch nicht von seinem Gewissen dispensieren."

DOMRADIO.DE: Woran kann sich ein Seelsorger dann orientieren?

Sautermeister: Für Seelsorger bedeutet das erstens, dass die pastoralen Entscheidungen vom Evangelium, vom Beispiel Jesu und seinem Umgang mit den Missachteten und Leidenden gut begründet sind und in dieser Abwägung auch die kirchliche Lehre mit ihrem Erfahrungsschatz berücksichtigt wird – darum müssen gute Seelsorger gute Theologen sein.

Zweitens bedarf es einer pastoralen Demut, die die konkrete Lebenswirklichkeit der Menschen ernst nimmt und ihnen angstfrei, empathisch und mit wertschätzender Offenheit zu begegnen vermag – darum müssen gute Seelsorger reife Persönlichkeiten sein.

Drittens bedarf es einer pastoralen Kreativität, die sensibel für die liebende Gegenwart Gottes in der Lebensgeschichte und in konkreten Situation von Menschen ist und im Lichte des Evangeliums angemessene Wege findet, diese im pastoralen Handeln zum Ausdruck zu bringen – darum müssen gute Seelsorger geistliche Menschen sein.

Gewiss, Seelsorge ist anspruchsvoll, aber es geht hierbei ja um nichts weniger als um das Leben von Menschen und das Evangelium. Deshalb kann und darf ein Seelsorger sich auch nicht von seinem Gewissen dispensieren. Pastorale, professionelle und persönliche Integrität lassen sich nicht voneinander trennen

DOMRADIO.DE: Die Frage stellt sich ja nicht nur für einen Pfarrer – sondern ggf. auch für den zuständigen Bischof. Er sieht die Sorgen und Nöte in seiner Diözese, aber er fühlt sich gleichsam seinem Treueversprechen gegenüber dem Papst und der Kirche verpflichtet?

Sautermeister: Auch ein Bischof unterliegt diesen pastoralen Kriterien, insofern er sich als Hirte seines Volkes und als Seelsorger versteht. Aus moraltheologischer Sicht kann das Treueversprechen gegenüber Papst und Kirche einen Bischof nicht von seiner Verantwortung für das eigene Entscheiden und Handeln entheben. Ansonsten würde man ja bloßer Statthalter des Papstes (Vikar) und lediglich ein ausführendes Organ sein.

Das Bischofsamt begründet sich in der Nachfolge der Apostel (II. Vatikanum, Lumen Gentium 21). Es ist auch ein Dienst an der Einheit der Kirche, die aber gerade nicht Einheitlichkeit bedeutet. Vielmehr hat das Bischofsamt die pastoralen Interessen sowie die unterschiedlichen Kulturen zu berücksichtigen, so dass der Dienst an der Einheit sich der Pluralität und Vielheit bewusst sein muss. Im Treueversprechen soll das – positiv gedeutet – bekräftigt werden.

Das Einheitsamt darf somit nicht gegen das Hirtenamt ausgespielt werden. Ambiguitätstoleranz sollte daher ebenfalls eine bischöfliche Tugend sein. Wie unterschiedlich das Bischofsamt gelebt und verstanden wird, kann man während der gesamten Kirchengeschichte, in den verschiedenen Kontinenten und gegenwärtig ja gut beobachten.

DOMRADIO.DE: Wir stellen ja hier auch eine gewisse Ungleichzeitigkeit fest. Einzelne Bistümer legen z.B. die kirchenrechtliche Latte nicht so hoch und betonen stärker die Freiheit des Gewissens. In Belgien z.B. werden Segensfeiern ja toleriert. Wie sehen Sie das?

Sautermeister: Grundsätzlich ist es bemerkenswert, dass es diese Möglichkeit in der katholischen Kirche Belgiens gibt und dass – wie der Bischof von Antwerpen Johan Bonny betont hat – Papst Franziskus einer Segensfeier von gleichgeschlechtlichen Paaren dort ausdrücklich keine Steine in den Weg gelegt hat. Daher ist es umso problematischer, lediglich mit Verweis auf eine anonyme Anzeige und eine Reaktion aus Rom darauf eine solche Sanktion zu begründen.

Wir wissen nicht, was überhaupt der Inhalt der römischen Intervention ist und wer diese Intervention verfasst hat. Vor dem Hintergrund einer synodalen Kirche, die Papst Franziskus fordert, und einer notwendigen Anerkennung der humanwissenschaftlichen Erkenntnisse für die kirchliche Sexualmoral erscheinen die veröffentlichten Äußerungen Kölns unzureichend. Nur auf Rom zu verweisen, wird der Würde des Gewissens aller Menschen und der Würde aller Getauften nicht gerecht.

Meine Sorge ist, dass so die Glaubwürdigkeit der Kirche mit ihrer Botschaft von der liebenden Zuwendung Gottes und ihrer Option für missachtete, diskriminierte Menschen und Menschen an der Peripherie weiter untergraben wird. Der moraltheologische Verweis auf die Gewissensfreiheit war schon früher und ist auch in der derzeitigen kirchlichen Situation ein moraltheologisch kundiger und kluger pastoraler Weg. Er liegt ganz auf der Linie des Nachsynodalen Schreibens "Amoris laetitia" von Papst Franziskus aus dem Jahr 2016 (AL 37) und trägt der Lehre vom Gewissen gemäß dem Zweiten Vatikanum (Gaudium et spes 16) Rechnung.

Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen.

Wie die Aktion "Liebe gewinnt" entstand

Eine Regenbogenflagge auf dem Altar und glückliche, gesegnete Liebespaare: In einem katholischen Gottesdienst in München waren am 10. Mai 2021 erstmals mehrere gleichgeschlechtliche Paare gesegnet worden. "Der Himmel war offen", sagte der damals sichtlich gerührte Pfarrer Wolfgang Rothe nach dem gewissermaßen historischen Gottesdienst in der katholischen Kirche St. Benedikt. Er wolle "ein Zeichen setzen". "Mein Anliegen ist, das aus den kirchlichen Hinterhöfen rauszuholen - dahin, wo es hingehört: mitten in das kirchliche Leben", sagte Rothe.

Wolfgang Rothe segnete homosexuelle Paare in München / © Felix Hörhager (dpa)
Wolfgang Rothe segnete homosexuelle Paare in München / © Felix Hörhager ( dpa )
Quelle:
DR