domradio.de: Sie haben ein Buch mit dem Titel "Ankunft 24. Dezember" herausgegeben. Das sind Ihre gesammelten Weihnachtspredigten. Sie setzen damit vermutlich einen Kontrapunkt zum Konsumfest, oder?
Prof. Dr. Hubert Wolf (Professor für Kirchengeschichte, Uni Münster): Das ist einerseits die Idee. Andererseits versuche ich aber hinter dem Konsum, hinter den Weihnachtsmärkten, hinter dem Rausch, der da drin steckt, eine Grundsehnsucht von Menschen zu identifizieren. Sie wollen einmal im Jahr anders sein als sonst. Sie illuminieren ihre Häuserwände, was sie sonst nie täten, weil sie sonst eher Strom sparen. Ich versuche hinter diesen säkularen Adventsbräuchen Anknüpfungspunkte zu finden für das, was die christliche Botschaft eigentlich will.
domradio.de: Wie sehr können Sie selber sich denn vom Adventsstress frei machen? Ist man nicht zum Beispiel der Buhmann, wenn man nichts schenkt?
Wolf: Dieses Jahr habe ich es relativ leicht, weil ich mein Weihnachtsbuch verschenken kann. Insofern habe ich diesmal überhaupt keinen Geschenkedruck. Ich versuche mich aber durchaus davon freizumachen, als dass Geschenk für mich heißt, dass ich zum Beispiel mal wieder die alte Tante besuche, die ich eigentlich schon länger besuchen sollte. Ich nehme mir also Zeit für gewisse Kontrapunkte - trotz all dem Jahresendstress. Um auch das zu machen, was eigentlich die Botschaft von Weihnachten ist: Es geht ja um Menschwerdung Gottes und um Menschwerdung des Menschen. Also ganz knapp: Mach's wie Gott und werde Mensch. Das versuche ich immer wieder ein bisschen in der Adventszeit umzusetzen.
domradio.de: Historisch gesehen ist die Adventszeit eine Zeit der Buße und des Fastens...
Wolf: Ich denke, es ist sinnvoll, den Advent als eine Zeit des Fastens zu nehmen. Das bedeutet nicht Fasten im klassischen Sinn. Sondern es geht um bestimmten Verzicht, um bestimmtes Freiwerden. Advent ist eher eine Haltung. Es geht darum, dass jemand bei mir ankommen will. Aber wenn jemand ankommen will, muss ich ja da sein. Und dann sollte ich mich nicht durch etwas anderes ablenken lassen. Nach der Mitternachtsmesse an Heiligabend wird dann eine richtig gute Flasche Wein geöffnet. Aber erst dann.
domradio.de: In Bezug auf die Weihnachtsgeschichte ist die Bibel ja unsere Quelle Nummer Eins. Historisch gesehen bleibt aber gar nicht so viel übrig. Wie arrangieren Sie sich mit diesen zwei Wahrheiten?
Wolf: Ob es zwei Wahrheiten sind, weiß ich nicht. Es sind Aussagen, die auf unterschiedlicher Ebene liegen. Das Markus-Evangelium kommt ohne Weihnachtsgeschichte aus. Johannes hat einen sehr abstrakten Prolog: 'Im Anfang war das Wort'. Lukas und Matthäus versuchen durch die Weihnachtsgeschichte deutlich zu machen, mit wem wir es eigentlich bei Jesus zu tun haben. Und das kann man eigentlich erst von hinten her verstehen - also von der Ostergeschichte her. Der gekreuzigte Jesus war ein lebendiger. Und deshalb sind alle Evangelien nichts anderes als Ostergeschichten mit ausführlichen Einleitungen.
Dass im Laufe der Zeit ein Interesse daran entsteht, wo Jesus eigentlich her kommt, ist völlig verständlich. Für mich ist das überhaupt kein Problem, diese beiden Ebenen von Wahrheiten miteinander in eine bestimmte Beziehung zu bringen. Es geht nicht darum, ob das historisch genau so war. Sondern es geht darum, dass damit eine Wahrheit zum Ausdruck gebracht wird, die die historische Wahrheit übersteigt.
Und ich finde, in der Weihnachtsgeschichte werden Grundsehnsüchte von Menschen angesprochen. Wir Menschen haben eine Grundsehnsucht nach den unverbauten Möglichkeiten des Anfangs. Gott offenbart keine Sätze, sondern er kommt uns selbst nahe. 'Advent' heißt ja eigentlich 'Herrschereinzug'. Er kommt aber nicht als Herrscher, sondern als Kind. Und ein Kind braucht die Hilfe von uns Menschen. Das heißt, Gott zwingt sich uns nicht auf. Und das ist eine immense Wahrheit. Der christliche Glaube ist keine Zwangsbotschaft, kein Korsett. Sondern ein Angebot Gottes, Ja oder Nein zu sagen.
Das Interview führte Tobias Fricke.