DOMRADIO.DE: Sie haben Taylor Swift live in Gelsenkirchen erlebt. Wie war das Konzert?
Annika Schmitz (Redakteurin der Herder Korrespondenz, Monatszeitschrift für Gesellschaft und Religion): Es war unglaublich. Ich wusste ja vorher schon ein bisschen, was auf mich zukommt. Es gibt einen Konzertfilm zu der Tour, es gibt viele Ausschnitte in den sozialen Medien. Insofern konnte ich mich schon auf gute Laune, auf eine gewisse Lautstärke beim Konzert und viele gut durchdachte Kostüme einstellen.
Natürlich habe ich mich wahnsinnig darauf gefreut, meine Lieblingssongs live mit 60.000 Menschen zu singen. Das wurde auch alles nicht enttäuscht. Es war eine wahnsinnig gelöste Stimmung.
Mich hat aber vor allem beeindruckt, wie wohlwollend die meisten Menschen waren, welche Emotionen es in mir selbst und in anderen hervorgerufen hat, wenn man in einer Gruppe Lieder singt, mit denen man bestimmte Emotionen und Situationen verbindet.
Ich würde sagen, das hatte manchmal schon fast eine kathartische Dimension, also etwas sehr Reinigendes, etwas Befreiendes.
DOMRADIO.DE: Das klingt ein bisschen nach Gemeinschaft und Gottesdienst. Wenn man mal auf die Schnittmengen zwischen Taylor Swift und Religion schaut, hat dann so ein Konzert mit dieser Gemeinschaft, dem Miteinander-Singen auch eine religiöse Dimension oder ist das ein bisschen zu hoch gegriffen?
Schmitz: Ich bin da etwas zurückhaltend. Taylor Swift macht erst mal keine religiöse Musik, und ein Konzert wie dieses ist auch kein Gottesdienst. Es gibt natürlich Fans, die dem Popstar eine ähnliche Verehrung entgegenbringen, wie man das aus Religionen gegenüber Gott kennt. Das ist aber auch kein neues Phänomen und findet sich bei Pop- und Filmstars immer wieder.
Wenn wir von einer religiösen Dimension des Konzertes sprechen, sind da mehrere Blickwinkel interessant. Es gibt zum Beispiel einen sehr kritischen, oft aus der freikirchlichen Szene geprägten Blick, der behauptet, Swift würde an manchen Stellen in ihrer Show satanische Rituale praktizieren, wie zum Beispiel in dem Song "Willow". Das sehe ich ehrlich gesagt nicht, auch nicht, nachdem ich sie jetzt live erlebt habe.
Und zum anderen greift sie aber in ihrer Inszenierung an manchen Stellen auf Motive zurück, die man auch aus religiösen Traditionen kennt. Beim Song "My Tears Ricochet" zum Beispiel imitiert sie mit ihren Tänzerinnen gemeinsam den letzten Gang bei einer Beerdigung, wenn ein Mensch zu Grabe getragen wird.
Ich habe eben schon erwähnt, dass ich den Eindruck hatte, das Konzert habe an manchen Stellen so eine Art kathartische Wirkung gehabt. Man bringt bei einer solchen Show schon Emotionen zum Ausdruck und lässt sie heraus, durchlebt vielleicht auch manche Erfahrungen noch einmal und fühlt sich danach freier. Da könnte man vielleicht sagen, das hat eine leicht religiöse Dimension.
DOMRADIO.DE: Weiß man denn etwas darüber, wie sie persönlich ihren Glauben praktiziert?
Schmitz: Nein, das weiß man tatsächlich nicht. Swift ist Christin und sie hat auch einmal von sich selbst gesagt, dass sie Christin sei. Das war in einer Dokumentation, wo sie begründet, warum sie sich gegen die konservative und restriktive republikanische Marsha Blackburn ausgesprochen hat, die als Senatorin im Bundesstaat Tennessee kandidiert hat. Dieses Aufstehen gegen Blackburn hat Swift nach eigenen Worten aus ihrem eigenen Glauben, aus christlicher Motivation heraus getan.
Man muss aber auch sagen, dass Swift in weiten Teilen das Narrativ bestimmt, das über sie in der Welt ist. Wir wissen wenig von ihr, was nicht nach außen dringen soll, von dem sie nicht möchte, dass Menschen es wissen. Insofern lässt sich auch über ihren persönlichen Glauben wenig sagen.
Zugleich würde ich aber auch fragen, woran wir messen, ob und wie jemand seinen Glauben praktiziert? Am sonntäglichen Kirchgang, an den Werten, die jemand vertritt, an den Dingen, für die man einsteht? Da ist das Feld ja sehr weit.
DOMRADIO.DE: Könnte man sagen, mit ihrer Auffassung von Gemeinschaft, von vielleicht auch ein bisschen Glaube an die Menschheit, ist sie aus spiritueller, religiöser Sicht ein "Role Model", ein Vorbild für junge Frauen?
Schmitz: Das ist eine gute Frage. Aber es ist auch immer auch eine schwierige Frage. Ich bin da immer vorsichtig, weil ich Menschen und bestimmte Kunstformen nicht religiös vereinnahmen möchte. Das gilt auch für Taylor Swift.
Aber natürlich kann man sagen, dass Swift ein Vorbild für Frauen sein kann, für die eigene Sache einzutreten und sich eben nicht immer mit einfachen Antworten zufrieden zu geben. Etwa auch mal laut, mal selbstbewusst für Gleichberechtigung einzutreten und zu sagen: Alle Menschen haben ein Recht, auf dieser Welt einen Platz zu haben und sich nicht von einem männlich dominierten Blick vorschreiben zu lassen, wie man das eigene Leben zu deuten hat.
Das ist eine ganz einfache Weisheit. Aber manchmal tut es auch gut, sich das in Erinnerung zu rufen.
Das Interview führte Heike Sicconi.