DOMRADIO.DE: Ist der Beruf des Priesters in den letzten Jahren anspruchsvoller geworden?
Dr. Corinna Paeth (Psychotherapeutin und Leiterin des Recollectio-Hauses Münsterschwarzach): Die Aufgabenbereiche des Priesters haben in den letzten Jahren natürlich zugenommen durch die Vergrößerung der Seelsorgebereiche und dadurch, dass Priester Führungs- und Verwaltungsaufgaben übernehmen müssen.
Sie verrichten Tätigkeiten, für die sie oft eigentlich nicht ausgebildet sind und die oft mehr mit Personalmanagement zu tun haben. Man kann in Anbetracht dieser Tatsache schon sagen, dass der Priesterberuf herausfordernder geworden ist.
DOMRADIO.DE: In vielen Bistümern gibt es die Idee, die zum Teil auch schon umgesetzt wird, den Priestern Verwaltungsleitungen an die Seite zu stellen, um ihnen diese ganzen Verwaltungsaufgaben abzunehmen und sie für die Seelsorge freizustellen.
Paeth: Das ist nicht in allen Diözesen der Fall. Es gibt viele Pfarreien, in denen es keinen Verwaltungsleiter gibt, wo also der Pfarrer diesen Verwaltungsbereich zusätzlich übernehmen muss.
Aber nicht nur der Verwaltungsbereich, sondern auch andere Themenbereiche wie zum Beispiel die Missbrauchskrise haben deutlich am Ansehen des Berufes oder des Amtes gerüttelt, sodass manch einer den Eindruck hat, unter Generalverdacht zu stehen und vielen kritischen Blicken ausgesetzt zu sein, und dass sich viele Gemeindemitglieder auch von der Kirche und auch von der Pfarrgemeinde abgewandt haben.
Das sieht man letztendlich auch an der doch sehr hohen Zahl der Kirchenaustritte.
DOMRADIO.DE: Das heißt also, viele Priester zweifeln momentan auch an ihrer Berufung, als Priester zu arbeiten?
Paeth: Viele unserer Gäste, die Priester sind, fühlen sich zu ihrer Position als Seelsorger oder auch Hirte ihrer Gemeinde berufen. Nur die zusätzlichen Belastungen, eben diese Verwaltungsarbeiten oder auch dieser Eindruck, unter Generalverdacht zu stehen, aber auch Konflikte mit dem Personal und in den Teams tragen dazu bei, dass eine Überforderung eintritt.
In solchen Situationen ist das Gefühl, für das Amt berufen zu sein oft noch vorhanden, aber gleichzeitig auch eine emotionale Überforderung, und das kann zu einem Ungleichgewicht beitragen: Einerseits fühle ich mich berufen und möchte Priester sein, andererseits habe ich keine Kraft mehr oder fühle mich überfordert oder auch von meinen Gemeindemitgliedern missverstanden.
DOMRADIO.DE: Wie wirkt sich denn die zölibatäre Lebensweise des Priesters auf diese Problematik aus? Ist das eher etwas Befreiendes oder etwas eher Belastendes?
Paeth: Viele unserer Gäste sind mit der inneren Gewissheit in den Zölibat eingetreten oder geweiht worden, dass sie zölibatär leben können, und sie stehen auch dazu. Sie haben während ihrer Zeit im Priesterseminar intensiv damit auseinandergesetzt und sie stehen auch zu dieser Überzeugung.
Aber der emotionale Stress, dem viele Pfarrer ausgesetzt sind, führt dazu, dass eine gewisse emotionale Bedürftigkeit größer wird, also dass auch ein Pfarrer sich zurückziehen möchte, sich entspannen oder einen Ausgleich finden möchte.
Vielleicht kann er das aber wegen der umfangreichen Arbeitszeit dann nicht. Weil ein Pfarrer aber nun einmal auch ein Mensch ist, sucht er sich dann etwas anderes. Das kann zum Beispiel das Internet sein oder aber auch Alkoholkonsum.
Oder man stellt sich irgendwann ganz allmählich die Frage: Brauche ich nicht mehr körperliche Nähe? Will ich nicht auch meinen sexuellen Bedürfnissen nachgehen? Die Frage, ob man selbst überhaupt zölibatär zu leben in der Lage ist, kann also auch im Laufe der Amtsjahre vor dem Hintergrund einer Überforderung auftauchen.
DOMRADIO.DE: Das heißt, auch der Zölibat kann bei Überlastung zu einer problematischen Komponente im Priesterberuf werden?
Paeth: Ja, genau.
DOMRADIO.DE: Was raten Sie denn meistens Priestern, die an solchen seelischen Überlastungen oder Belastungen leiden?
Paeth: In der Psychotherapie fragt man dann zuerst einmal: Was waren die auslösenden Bedingungen und was sind die aufrechterhaltenden Faktoren für die aktuelle Thematik?
Aufrechterhaltende Faktoren können zum Beispiel ein Mangel an Zeit für Entspannung oder Erholung sein. Das kann aber auch ein Mangel an körperlicher Aktivität sein, also Sport. Das kann genauso ein Mangel an sozialen Aktivitäten sein.
Man schaut sich also diese Faktoren an, um erst einmal wieder eine psychische Stabilität aufzubauen und dann darauf zu blicken, was das alles ausgelöst hat. Was sind eigentlich die ursächlichen Faktoren? Das können Faktoren sein, die weiter zurückliegen.
Manche Priester haben aber auch einen sehr ausgeprägten Perfektionismus und sehr hohe Erwartungen an die eigene Leistung, also einen sehr ausgeprägten inneren Kritiker, der ihnen sagt: Sei für die anderen da, aber kümmere dich nicht unbedingt um dich selbst, alles andere ist wichtiger. Es können also Persönlichkeitsfaktoren sein, die zur Überlastung beitragen.
Es kann aber auch teilweise ein mangelnder Umgang mit der eigenen Sexualität sein, schon in früheren Jahren, also in der Pubertät, dass manche sich also vielleicht schon in früheren Entwicklungsphasen nicht ausreichend mit der eigenen Emotionalität auseinandergesetzt haben und dies dann in der aktuellen Stresssituation wieder aufkommt.
DOMRADIO.DE: Belastung gibt es auch in anderen Berufen, zum Beispiel bei Managern. Wo liegen da die Unterschiede zum Priesterberuf?
Paeth: Die Stresssymptome sind die gleichen, das sind ja alles Menschen. Dass sich jemand überfordert fühlt oder Schlafprobleme hat oder keinen Antrieb mehr, Lustlosigkeit oder Motivationsschwierigkeiten hat. Das ist alles gleich, aber die auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren sind andere.
Gleichzeitig haben wir unser Haus für alle spirituell Interessierten geöffnet. Das können, wie gesagt, auch Manager sein oder andere Menschen mit ganz anderen Berufen, sei es außerhalb der Kirche, katholisch oder evangelisch.
Aber es sind Menschen, die auch eine gute Portion Spiritualität mitbringen, also einen Bezug zum Glauben an Gott haben. Unser Konzept sieht vor, dass wir unsere Gäste nicht nur psychotherapeutisch stärken wollen, sondern auch mit Hilfe von geistlicher Begleitung und geistlicher Unterstützung in Gruppen bereitstellen.
Auch Manager oder Menschen aus anderen Berufsgruppen haben bei uns die Möglichkeit, spirituell aufzutanken. Natürlich bringen Priester einen ganz anderen beruflichen Kontext mit, aber hier geht es generell einfach darum, zu sich selbst zu kommen, zu den eigenen Bedürfnissen und spirituellen Quellen.
Das ist bei einem Manager oder bei einer anderen Person aus einer anderen Berufsgruppe genauso möglich wie bei einem Priester – aber eben auf eine andere Weise.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.