DOMRADIO.DE: Taufe, Hochzeit oder ein Trauerfall sind Wendepunkte im Leben vieler Menschen, bei denen sie die Dienste der Kirche in Anspruch nehmen – selbst wenn sie nicht sonderlich gläubig oder kirchlich sozialisiert sind. Hier kann die Kirche mit einer missionarischen Pastoral ansetzen…
Eva-Maria Will (Referentin für Trauerpastoral): Oft sind diese sogenannten Wendepunkte in der Tat die einzige Berührung, die Menschen mit Kirche noch haben. Gerade bei einem Trauerfall. Sie bezahlen Kirchensteuer, also haben sie auch die Erwartungshaltung: Nun kann sich die Kirche kümmern. Da viele keine regelmäßigen Gottesdienstbesucher sind, findet nur eine punktuelle Begegnung mit Kirche statt, die aber eine große Chance sein kann. Dann ist es wichtig, diese Begegnung so zu gestalten, dass die Menschen – gerade wenn sie einen geliebten Angehörigen verloren haben – spüren, dass wir sie ernst nehmen und ihnen etwas anzubieten haben. Es kann sein, dass sie in diesem Moment dann eine Erfahrung machen, die bleibt. Sie erleben etwas, das einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt, und empfinden unter Umständen, dass Glaube in Zeiten von Trauer auch tragen kann.
DOMRADIO.DE: Was haben Sie diesen Menschen denn anzubieten?
Will: Zunächst einmal ist ein wesentlicher Punkt, überhaupt erreichbar zu sein. Wer in einem Pfarrbüro anruft, sollte nicht vertröstet werden. Es muss jemand da sein, der sich zugewandt kümmert und einen geschützten Raum für Gespräche vermittelt. Für ein Kondolenzgespräch, in dem über den Verstorbenen oder die persönliche Gestaltung der Begräbnisfeier gesprochen wird, muss Zeit sein. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass nur ein Ritus abgespult wird. Schließlich sind Menschen, die trauern, sehr verletzlich und hochsensibel, aber eben auch empfänglich für eine tröstende Botschaft. Im Idealfall kann der zuständige Seelsorger in einer solchen Situation ein Zeugnis seines eigenen Glaubens geben: nämlich davon, dass Auferstehung nicht nur ein Ereignis vor 2000 Jahren war, sondern auch mitten unter uns geschieht. Wir sind dazu aufgerufen, wie Kardinal Woelki immer wieder betont, Zeugen der Auferstehung zu sein. Trotzdem geht es nicht darum, dem Trauernden die eigene Überzeugung überzustülpen, sondern jeden Einzelnen in seiner sehr individuellen Situation zu sehen und genau da – zugeschnitten auf den Einzelfall – mit pastoralen Angeboten anzusetzen. Nach dem Abschiedsgottesdienst kann es auch noch eine "nachgehende Seelsorge" geben, die den Trauernden nicht alleine lässt, sondern weitere Formen einer erneuten Kontaktaufnahme mit einem Seelsorger anbietet.
DOMRADIO.DE: Trauer ist ja ein ziemlich weit gefasster Begriff. Eine neue Handreichung des Erzbistums zur Orientierung trägt sogar den Titel "Trauer und Angst der Menschen von heute teilen". Demnach geht es Ihnen nicht immer nur um die Trauer bei einem Todesfall…
Will: Wenn Papst Franziskus sagt, wir müssen an die Ränder gehen, dann meint er damit sicher grundsätzlich Menschen in leidvollen Situationen. Das muss nicht immer gleich den Umgang mit Sterben und Tod bedeuten. In der Tat trauern viele Menschen auch aus ganz anderen Gründen: weil sie ihren Arbeitsplatz oder ihre Heimat verloren haben, sich ein Kinderwunsch nicht erfüllt hat, die Ehe zerbrochen ist, sie schwer krank sind oder an der Armutsgrenze leben. Trauer kann viele Gesichter haben. Das angesprochene Positionspapier dient den Seelsorgeteams und Pfarrgemeinderäten. Es erklärt, wofür Kirche in ihrer Trauerpastoral steht, und bietet die Chance, die bislang praktizierte Seelsorge angesichts der neuen Herausforderungen kritisch zu reflektieren, aber auch manchen neuen Impuls zu geben. Vernetzung ist dabei auch ein wichtiges Stichwort. So verstanden, ist die Handreichung eine umfangreiche Auflistung an konkreten Hilfestellungen.
DOMRADIO.DE: Jeder stirbt anders, und jeder trauert anders. Diese Verschiedenartigkeit eröffnet ein weites seelsorgliches Feld, das vor drei Jahren im Erzbistum unter der Überschrift "Trauerpastoral und Bestattungskultur" eingerichtet wurde. Was kann es leisten?
Will: Trauerpastoral gehört zu den Kernaufgaben der Kirche. In einer immer säkularer werdenden Gesellschaft ist es wichtig, einen Ankerpunkt, Unterstützung und Hilfe anzubieten. Früher gab es familiäre Trauernetze – auch die Nachbarschaft, die beispielsweise die Totenwache hielt, oder die Schützen am Ort, denen bei der Beerdigung eine wichtige Aufgabe zukam. Bedingt durch eine große Mobilität wohnen die Kinder und Enkelkinder heute nicht mehr in der Nähe. Und viele wissen auch grundsätzlich bei einem Sterbefall nicht mehr, was nun zu tun ist. Dann suchen sie Antworten und wenden sich – das ist für sie naheliegend – an die Kirche. Gerade bei Trauer hat Kirche noch eine große Relevanz. Das zeigt sich gerade auch besonders bei Terroranschlägen und anderen Katastrophen mit vielen Todesopfern, wenn dann ökumenische Gottesdienste gefeiert werden. Nicht nur der einzelne Betroffene, auch die gesellschaftliche Trauer braucht eine Verortung. Solche Trauergottesdienste sind Formen, die eine hohe Akzeptanz haben, weil hier die Chance zur Verarbeitung von etwas Unbegreiflichem gegeben wird. Auch bei Tot- und Fehlgeburten zum Beispiel gibt es kirchlicherseits ein großes Engagement. Darüber hinaus ist es uns wichtig, dass möglichst keine anonymen Bestattungen stattfinden. So gibt es in Köln und anderswo die segensreiche Einrichtung von Gottesdiensten für Unbedachte, in denen die Namen derer verlesen werden, die ohne Feier bestattet wurden. Denn jeder Mensch ist von Gott bei seinem Namen gerufen.
DOMRADIO.DE: Wer, wenn nicht die Kirche, sollte für einen würdigen Abschied vom Leben sorgen? Gibt es denn auch einen Spielraum, um auf individuelle Bedürfnisse eingehen zu können?
Will: Natürlich gibt es gerade bei Trauer- und Beerdigungsfeiern sehr individuelle Vorstellungen. Dahinter steht der Wunsch, dass der Verstorbene in seiner Einzigartigkeit und Geschichte gewürdigt wird und ein Begräbnis für die verantwortlichen Seelsorger nicht einfach nur Routine ist. Die Einbeziehung der Angehörigen, sich aktiv an der Feier zu beteiligen, kann für beide Seiten sehr hilfreich sein. Oder aber in Gemeinden kann ein Kreis von Ehrenamtlichen ins Leben gerufen werden, der Menschen begleitet, die niemanden mehr haben, wenn der Partner stirbt. Auch Trauercafés und andere Gesprächsinitiativen können bei der Verarbeitung von Trauer eine wichtige Anlaufadresse sein. Hier entdecken Gemeinden zunehmend neue Betätigungsfelder für sich, um Unterstützungsangebote für Gleichbetroffene zu schaffen. Ein caritativer Dienst kann schon darin bestehen, allein zurück gebliebene Menschen zu Behörden zu begleiten, für sie zu kochen oder einzukaufen. Auch solche Dienste, die von Ehrenamtlichen geleistet werden können, sind für Trauernde wichtig und heilsam. Hier kann sich die gemeindliche Trauerseelsorge noch sehr kreativ weiterentwickeln.
DOMRADIO.DE: Welche Chance liegt in dem ehrenamtlichen Bestattungsdienst, zu dem das Erzbistum im vergangenen Jahr ein Pilotprojekt gestartet hat, das nun auch Laien – nach eingehender Schulung – erlaubt zu beerdigen?
Will: Die Überalterung unserer Gesellschaft sorgt für eine zunehmende Zahl an Bestattungen, die von den Priestern nicht immer zu bewältigen sind. Auch aufgrund der wachsenden Individualisierung ist es wichtig, dass sich die Kirche breiter aufstellt und die vielfältigen Charismen von gefirmten Gemeindemitgliedern an dieser Stelle nutzt. Viele von ihnen engagieren sich bereits im Hospizwesen, in der Telefon- und Notfallseelsorge oder aber sind pflegende Angehörige. Das alles sind wichtige Dienste. Und aus diesem Pool wiederum gibt es dann Menschen, die sich vorstellen können, auch zu bestatten. Wir haben unser 2016 entwickeltes Pilotprojekt zur Ausbildung von ehrenamtlichen Bestattungsbeauftragten ausgewertet und festgestellt, dass diese neue Aufgabe ein Gewinn für die Gemeinden ist: Am Bestattungsdienst Interessierte zeigen ein hohes Engagement, bringen Zeit mit, hören zu oder sind manchmal einfach nur für den Trauernden da. Das ist ein hohes Gut. Wenn beispielsweise eine Mutter ihr Kind verliert, kann sie sich in ihrem Schmerz einer Frau, die ebenfalls Mutter ist, ganz anders öffnen. Das ist also eine große Bereicherung. Trotzdem bleiben Pfarrer und Diakone die Erstverantwortlichen, und Exequien kann nur der Priester feiern. Unsere hauptamtlichen Laien können dabei übrigens eine wichtige Brückenfunktion zwischen Priestern und Gemeindemitglieder übernehmen. Der Pfarrer hat die Aufgabe, eine Bestandsaufnahme seiner lokalen Situation unter Berücksichtigung der personellen Ressourcen vorzunehmen – also: Wie ist der Sozialraum, welche Einrichtungen haben wir? – um dann gegebenenfalls Menschen mit geeigneten Charismen zu finden.
DOMRADIO.DE: Als Expertin sind Sie für Sterben, Tod und Trauer in besonderem Maße sensibilisiert. Was fällt Ihnen dabei besonders auf?
Will: Lange wurden diese Themen weitgehend tabuisiert. Die Kriegsgeneration hat erlebt, dass alles in Schutt und Asche lag, und hat die schmerzhaften Erfahrungen und erlittenes Unglück verdrängt. Es ist dem Hospizwesen und auch der Diskussion um Sterbehilfe zu verdanken, dass die Themen Sterben, Tod und Trauer wieder in die Öffentlichkeit gefunden haben. Mittlerweile sprechen wir wieder sehr viel mehr darüber – es sei denn, es geht um das eigene Sterben, bei dem wir mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert werden. Doch wenn wir akzeptieren, dass Sterben, Tod und Trauer zum Leben gehören, dann stellt sich für jeden von uns die Aufgabe, bereits zu Lebzeiten Sterben einzuüben – im Sinne einer Ars moriendi. Nicht verdrängen und ausweichen, sondern annehmen, dass unser Leben begrenzt ist. Auf die Haltung kommt es an. Als Christen sollten wir von unserer Hoffnung sprechen, die uns erfüllt. Schließlich ist für den, der glaubt, der Tod das Tor zu einem neuen Leben.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.