DOMRADIO.DE: Haben Sie eine Erklärung dafür, weshalb Maradonas Tod in Argentinien wirklich so eine enorme Welle an Trauer und auch Verehrung auslöst?
Schwester Katharina Hartleib OSF (Franziskanerin aus Olpe): Soweit man so etwas erklären kann, müsste man vielleicht ein bisschen zurückgehen. Er kommt ja aus ganz kleinen Verhältnissen und er hatte auch nie ein Hehl daraus gemacht, dass er aus ärmlichen Verhältnissen ist. Er hat eine unglaubliche Genialität auf dem Fußballplatz entwickelt. Und: Er hatte trotzdem unglaublich viele Fehler und Schwächen wie jeder andere auch. Das ist, glaube ich, das, was es so ausmacht.
Die Argentinier merken: Oh, das ist einer wie wir. Der kann eine Sache ganz toll, aber in allen anderen Dingen ist er genauso schräg wie wir. Deswegen lieben sie ihn. Man sagt ja auch in Argentinien, dass sie Maradona lieben. Messi, den heutigen Ausnahmespieler, den achten sie. Aber sie lieben ihn nicht. Ich glaube, aus dieser Liebe heraus kommen diese unglaubliche Trauer und diese Verehrung.
DOMRADIO.DE: Es gab ja tatsächlich richtig Krawalle. Auch vor dem Regierungspalast in Buenos Aires. Da haben die Menschen sich unglaublich gedrängelt, weil sie ihn noch mal sehen wollten. Am Schluss musste diese Totenwache sogar abgebrochen werden. Das hat fast schon auch Züge von Heiligenverehrung, oder?
Schwester Katharina: Vielleicht müssen wir es mal so sagen: Wir kühlen Nordeuropäer werden es nie wirklich verstehen, was den Südamerikanern der Fußball bedeutet. Wenn ich nur allein an unsere brasilianischen Schwestern denke. Die habe ich mal bei einem Spiel hier im Wohnzimmer erlebt. Ich habe gedacht, sie räumen uns das Wohnzimmer aus. Man versteht es nicht. Aber bei ihnen ist es so, dass erfolgreicher Fußball den Allerärmsten hilft, sich in ihrer Mannschaft zu sonnen und zu freuen.
Wenn es dann einer von ihnen ist, der so populär wird, dann ist das vielleicht vergleichbar mit diesen Gewinn des WM-Titels hier in Deutschland 1954. Wo man ja auch sagt, dass das eigentlich die Geburtsstunde der Bundesrepublik war, weil alle Leute quasi sich darin gefreut und gesonnt haben.
Und wenn ich mal gucke, pseudoreligiös ist bei uns ja auch manches im Fußball. Wenn ich bedenke, dass Menschen auf Schalke heiraten und am liebsten dort beerdigt werden wollen, wenn die Stadien in den letzten Jahren zum Weihnachtssingen immer rappelvoll waren, aber die Kirchen immer leerer werden, hat das auch was mit einer ganz anderen Religiosität zu tun.
DOMRADIO.DE: Noch einen Schritt weiter geht man allerdings in Neapel, also weitab von Maradonas Heimat Argentinien. Da gibt es eine Kapelle: Die Iglesias Maradoniana, eine Kapelle, wo dieser Fußballstar verehrt wird. Da wird teilweise sogar Weihnachten an seinem Geburtstag gefeiert und als Reliquien werden Trikots verehrt. Was ist denn von so etwas zu halten? Das ist doch dann etwas zu viel, oder nicht?
Schwester Katharina: Die Neapolitaner haben immer im Schatten des Nordens gestanden und ihnen war völlig klar, dass sie niemals Meister werden im Fußball. Niemals. Erst als irgendein Millionär es geschafft hat, Maradona zu holen, sind Sie wirklich Meister und Pokalsieger geworden. Das hat quasi diese ganze Schmach aufgewogen, unter der die immer gelitten haben. Deswegen wird er dort verehrt. Aber ich glaube, das mit dieser Iglesia, das ist wirklich Scherz und Spinnerei.
DOMRADIO.DE: Fußball ist aber ja tatsächlich für viele Menschen auch eine Art Ersatzreligion. Wenn wir da mal weiterdenken, würden Sie sagen: Kann die Kirche vielleicht sogar was vom Fußball lernen, von der Begeisterungsfähigkeit der Menschen da?
Schwester Katharina: Genau das ist das richtige Wort: Begeisterung. Nur wer für seine Sache brennt, kann andere begeistern und zum Brennen bringen. Wenn wir unsere Streitigkeiten zurzeit in diesen zerfallenden Kirchenstrukturen angucken, das begeistert doch niemanden mehr. Schauen Sie sich mal im Fernsehen den Sololauf von Maradona 1986 gegen England an. Da merkt man, wohin Begeisterung führen kann.
Und wenn jemand begeistert ist, schafft er das auch in der Kirche. Das ist, glaube ich, der Punkt, um den es geht. Sich selber begeistern lassen, damit man andere begeistern kann. Das wäre toll.
Das Interview führte Verena Tröster.