Türkischer Papstattentäter will künftig in Italien leben

Neue Polemik um Ali Agca

Der türkische Papstattentäter Ali Agca soll am 18. Januar 2010 auf freien Fuß kommen - und sorgt in Italien einmal mehr für Aufregung und Polemik. Denn der inzwischen 52-Jährige, der am 13. Mai 1981 Papst Johannes Paul II. mit drei Schüssen lebensgefährlich verletzte, will sich künftig in Italien niederlassen. Zudem soll ihm ein amerikanischer TV-Sender zwei Millionen Dollar für ein Exklusiv-Interview angeboten haben.

Autor/in:
Johannes Schidelko
 (DR)

"Es ist eine Schande, einen Kriminellen auf diese Weise zum reichen Star zu machen", wetterte der Fraktionschef des Berlusconi-Bündnisses "Volk der Freiheit" im Senat, Maurizio Gasparri.

Für Italien war der Fall Agca eigentlich bereits 2000 abgeschlossen.
Am 13. Juni des Heiligen Jahres unterzeichnete Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi ein Gnadengesuch. Der in der Haft ergraute Türke wurde in seine Heimat überstellt und der dortigen Justiz übergeben.  Derzeit sitzt das frühere Mitglied der rechtsextremen "Grauen Wölfe" noch im Gefängnis von Istanbul-Kartal - wegen des Mordes an einem Journalisten im Jahre 1979.

Noch immer nicht aufgeklärt
Bis heute ist das Papstattentat vom Petersplatz letztlich nicht aufgeklärt. Unbestritten ist, dass der Profikiller Agca die drei Schüsse abgefeuert hat. Er wurde noch auf dem Petersplatz gestellt und nach kurzem Prozess von einem italienischen Gericht zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt. Als Hintermann bezeichnete er dabei den bulgarischen Geheimdienst und dessen römischen Vertreter Juri Antonov. Aber schon beim zweiten Prozess 1985/86 verwickelte sich Agca in Widersprüche.

Auf dem Weg zum Gericht beschuldigte er vor laufenden TV-Kameras mal diesen, mal jenen. Mit immer neuen Aussagen, Korrekturen, Widersprüchen schaffte er solche Verwirrung, dass die meisten verdächtigten Hintermänner mangels Beweise freigelassen werden mussten. Dabei gab sich der Türke, der in der Haft Italienisch gelernt hatte, zunehmend kryptisch: Er bezeichnete sich als Vollstrecker des Willens Gottes, sogar als Jesus Christus. Mal gab er den fanatischen Einzeltäter, dann bezichtigte er die türkische Mafia. Agca wurde zum "Mann der hundert Wahrheiten" - nur die eigentliche Wahrheit kam nicht ans Licht.

Besuch im Rebibbia-Gefängnis
Für den Vatikan war die Debatte um Agca selbst bereits unmittelbar nach der Tat als erledigt. Noch auf dem Krankenbett verzieh Johannes Paul II. seinem Attentäter. Später besuchte er ihn im römischen Rebibbia-Gefängnis. Dabei habe Agca jedoch, wie Papstsekretär Stanislaw Dziwisz in seinen Memoiren festhielt, den Papst mit keinem Wort um Verzeihung gebeten. Vielmehr suchte der Schütze laut Dziwisz nach Erklärungen, wie er als Profi-Killer versagen konnte. "Eine Hand hat geschossen, eine andere das Projektil umgelenkt", sagte er später. Damit schien sich Agca hinter die Auffassung von Johannes Paul II. zu stellen, der seine Rettung - die Kugel verfehlte die lebenswichtigen Organe um Millimeter - dem Schutz der Gottesmutter von Fatima zuschrieb.

Dessen ungeachtet vermuteten Vatikankreise die Drahtzieher des Mordauftrags beim sowjetischen Geheimdienst KGB, der sich durch den Einfluss des polnischen Papstes in seinen politischen Kreisen gestört fühlte. Letztlich aber blieb das Papstattentat ein Geheimnis. Zunehmend verdichtete sich der Eindruck, Agca wollte mit seinen verwirrenden Aussagen nicht einmal irgendwelche Hintermänner decken. Es hieß, er kenne weder Auftraggeber noch Motive. Damit ist aber auch fraglich, ob Agca in einem hochdotierten Exklusiv-Interview neue Aufschlüsse geben will oder kann. Sollte er jedoch tatsächlich die wahren Auftraggeber kennen und auch nennen wollen, wäre sein eigenes Leben in der neuen Freiheit vermutlich in höchster Gefahr.