TV-Doku über ein gesellschaftliches Tabu

Vom Scheitern der Eltern-Kind-Beziehung

Das Gebot "Vater und Mutter zu ehren" ist tief verankert in unserer Gesellschaft. Selbst Menschen, die keine religiöse Bindung mehr haben, fühlen sich zu diesem Respekt vor den Eltern verpflichtet. Was aber geschieht, wenn die Beziehung so gestört ist, dass das Kind die Verbindung abbricht?

Autor/in:
Monika Herrmann-Schiel
 (DR)

Irene Klünder ist für die ARD-Reihe "Gott und die Welt" dieser Frage nachgegangen. Das Ergebnis ihrer Recherche zeigt der Film "Du bist nicht mehr meine Mutter. Wenn Kinder den Kontakt abbrechen", den die ARD am Sonntag um 17.30 Uhr ausstrahlt.



Nachdem sie mit ihrer Arbeit begonnen hatte, stellte Irene Klünder überrascht fest, dass es kaum jemanden gab, der ihr zu ihrem Thema nicht einen Geschichte erzählen konnte. Ganz im Gegensatz dazu stand die Bereitschaft, darüber vor der Kamera zu sprechen. Die Zerrüttung zwischen Kindern und Eltern sei mit sehr viel Scham behaftet, bei Eltern wie bei Kindern, berichtet die Autorin. Es ist ein gesellschaftliches Tabu. Die Eltern haben das Empfinden, versagt zu haben, aber auch die Kinder fühlen sich schlecht.



Für ihren Film konnte Irene Klünder mit Angelika Kindt eine betroffene Mutter und mit Joyce Shintani und Dirk Vogel eine Tochter und einen Sohn gewinnen. Angelika Kindt erhielt, wie sie heute sagt, vor fünf Jahren per E-Mail eine Kündigung von ihrer Tochter Maya. Sie kann nicht verstehen, weshalb ihre Tochter sich von ihr losgesagt hat. Die studierte Politologin veröffentlichte im vergangenen Jahr ein Buch über das, was ihr widerfahren ist. Sie will damit anderen betroffenen Eltern zeigen, dass sie mit ihrem Schmerz und Kummer nicht allein sind und berichtet über ihre Strategie, mit dieser Situation zurechtzukommen. Den regelmäßigen Kontakt zu ihrer Mutter hat die Musikwissenschaftlerin und Komponistin Joyce Shintani nach vielen Diskussionen abgebrochen. Von diesem Augenblick an sei es ihr besser gegangen, berichtet die sensible Frau.



Einfühlsamer Film

Sie wuchs als Tochter einer amerikanischen Mutter und eines japanischen Vaters in den USA auf. Nicht zu ertragen war für Joyce, dass ihre Mutter bis heute nicht bereit ist zuzugeben, dass die Tochter als kleines Mädchen vom Vater sexuell missbraucht wurde. Der Musiker Dirk Vogel hat vor zehn Jahren den Kontakt zum Vater abgebrochen. Zu diesem Entschluss hat er sich durchgerungen, weil er es nicht länger hinnehmen konnte, dass der Vater ihm immer wieder gezeigt hat, dass er kein wirkliches Interesse an seinem Sohn hatte. Er benötigte ihn nur als Publikum - so empfand das zu mindestens Dirk Vogel.



Irene Klünder ist ein einfühlsamer Film gelungen, der respektvoll mit den Protagonisten umgeht. Die Autorin, die im Januar 2011 mit dem Caritas Journalistenpreis Baden-Württemberg ausgezeichnet wurde, hört ihnen zu, lässt sie ihre Geschichten erzählen und gibt ihnen Raum ihren Schmerz, ihre Ohnmacht und ihre Wut zu schildern. Man spürt, die Ruhe und Geduld mit der sie sich diesen Menschen nähert. Dabei verzichtet die Autorin darauf, Partei zu ergreifen.



Irene Klünder nimmt sich eines gesellschaftlichen Tabus an, beleuchtet das Problem, ohne in Sensationsmache oder gar Voyeurismus abzugleiten. Betroffene Zuschauer, Eltern wie Kinder, bekommen so die Möglichkeit, sich offen mit ihren Problemen auseinanderzusetzen. Das gibt einigen vielleicht die Chance, ihren Kontakt zueinander nicht abreißen zu lassen.