Jeder darf einmal. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will Polizisten an die Schulen schicken, um das umstrittene Polizeiaufgabengesetz im Unterricht zu erläutern. Seine Parteifreunde in der Union fordern unterdessen mehr Werte- und Demokratieerziehung für Kinder aus Zuwandererfamilien. Der Deutsche Ärztetag möchte Gesundheitserziehung in den Lehrplänen verankert wissen. Darüber hinaus sollen Schulen Extremismus und Antisemitismus vorbeugen, Medienkompetenz vermitteln und Wirtschaftswissen weitergeben.
Soweit eine zufällige Auswahl von Wortmeldungen der vergangenen Wochen. Bei der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) haben sie eine Liste mit besonders bemerkenswerten Einlassungen zusammengestellt. Da macht sich der Bundesverband Tanz in Schulen für Tanzunterricht stark, das Heidelberger Fritz-Schubert-Institut will Schüler mit dem Fach Glück beglücken und Immobilien- und Wohnungsunternehmen wünschen sich Lerneinheiten in Sachen Klimaschutz und Wärmedämmung.
Teilweise seien bei dem Wunschkonzert Bildung "knallharte Interessen" von Politik oder Lobbyverbänden im Spiel, sagt GEW-Vorstandsmitglied Ilka Hoffmann. Sie sieht den Ruf nach immer neuen Fächern aber auch "als ein Stück Bequemlichkeit, die Verantwortung für Erziehung und Bildung von Eltern und Politik an die Schulen zu delegieren". Davon abgesehen seien die Stundenpläne bereits "sehr voll".
Schulen in höchstem Grade "reparaturbedürftig"
Ähnlich sieht es der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, und fügt warnend hinzu, dass Schulen vielfach nicht mehr in der Lage seien, "ihre Kernaufgabe der Kompetenz- und Wissensvermittlung zu erfüllen". Nicht zuletzt ein Mangel an Personal führe dazu, dass etwa Grundschulen daran scheiterten, allen Kindern Lesen, Schreiben und Rechnen beizubringen.
Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) formuliert es so. "Immer, wenn es gilt, ein gesellschaftliches Problem zu lösen, erfolgt fast reflexhaft der Ruf nach der Schule, nicht selten nach einem neuen Unterrichtsfach." Dabei vergesse die Politik meist, "die notwendigen Ressourcen mitzuliefern, um neue Aufgaben bewältigen zu können beziehungsweise zu sagen, was denn von den ohnehin schon vielfältigen Aufgaben dafür wegfallen soll".
Einig sind sich die Spitzenvertreter der Lehrerverbände und Gewerkschaften darin, dass Schule nicht zum "kurzfristigen Reparaturbetrieb der Gesellschaft" verkommen dürfe. Tatsache ist: Die Schulen selbst sind in höchstem Grade "reparaturbedürftig". In ihrer aktuellen Ausgabe greift die "Zeit" Zahlen der Bertelsmann-Stiftung auf, wonach bundesweit bis 2025 rund 35.000 Lehrer fehlen werden. In vielen Bundesländern spitze sich vor allem im Grundschulbereich die Lage dramatisch zu.
Mit Rucksack voll Problemen im Unterricht
Genau dort jedoch sind die Herausforderungen einer Gesellschaft zu sehen, die immer weiter auseinanderdriftet. "Jedes fünfte Kind ist von Armut betroffen, viele erleben Gewalt im eigenen Elternhaus", sagt Ilka Hoffmann. "Die Kinder kommen also schon mit einem Rucksack an Problemen in den Unterricht." Anstelle neuer Fächer seien deswegen viel dringender Erwachsene nötig, die Zeit für Kinder hätten. "Das müssen nicht zwingend nur Lehrer sein, sondern beispielsweise auch Sozialpädagogen und Erzieher - oder auch Schulkrankenschwestern."
Stattdessen drängen sich in maroden Klassenzimmern mitunter 30 Mädchen und Jungen, viele mit besonderem Förderbedarf, die von einer einzigen Lehrkraft unterrichtet werden. Es regnet durch Dächer, in Wänden und Böden stecken Asbest und andere Schadstoffe. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau bezifferte schon vor zwei Jahren den Sanierungsstau auf 34 Milliarden Euro. Hinter vorgehaltener Hand sagen viele Pädagogen, sie würden sich statt eines Whiteboards als Ausweis der Digitalisierung über eine funktionierende Heizung und geputzte Fensterscheiben mehr freuen.
Einer Debatte über Unterrichtsinhalte wollen sich die Lehrervertreter nicht verschließen. Aber die Prioritäten müssten stimmen, fordern sie. Zuallererst brauche es mehr Personal, wozu auch eine gute Bezahlung gehöre, so die GEW. "Damit sich mehr junge Menschen für diesen eigentlich wunderbaren Beruf entscheiden."