Über die Tränen und das starke Geschlecht

Mann hat's nicht leicht

Immer mehr Männer weinen in der Öffentlichkeit. Trotzdem ist das immer noch ein ungewohnter Anblick. Von Krokodilstränen und ganz großen Gefühlen. 

Uli Hoeneß weint (dpa)
Uli Hoeneß weint / ( dpa )

Uli Hoeneß hat es am Mittwochabend getan, SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück unlängst auch. Selbst Daniel Craig alias James Bond kamen in seinem bislang letzten Abenteuer "Skyfall" die Tränen. Männer mit Wasser in den Augen: Das ist trotzdem ein nach wie vor ungewohnter Anblick - obwohl Weinen eigentlich eine befreiende Wirkung hat und deswegen sehr gesund ist, wie der Kölner Psychologe Peter Groß zu bedenken gibt. Der Fachmann spricht von einem "Überschuss an Gefühlen", die zu Tränen rühren. Der Vorgang als solcher, das wird schnell deutlich, gehört zu den Grundäußerungen menschlichen Daseins. Man denke nur an den ersten Schrei von Babys.


Schon Paulus forderte zum Weinen auf

Kein Wunder, dass das Weinen bereits in biblischen Zeiten aktenkundig wird. So berichten die Evangelisten Lukas und Johannes vom weinenden Jesus; der Apostel Paulus fordert im Römerbrief: "Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden!" Im Alltag findet die nasse Regung reichen Niederschlag. Lutz Röhrichs "Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten" etwa listet Umschreibungen wie "heulen", "flennen" oder "brüllen» ebenso auf wie die heute weniger gebräuchlichen Wendungen "greinen", "nölen" oder "plinseln". Da drückt man auf die Tränendrüse, heult wie ein Schlosshund oder vergießt Krokodilstränen.



Woher kommen "Krokodilstränen"?

Das Bild vom traurigen Reptil geht übrigens zurück auf mittelalterliche "Bestiarien". Die Verfasser dieser reich illustrierten Tierbücher vertraten die Ansicht, dass Krokodile wie kleine Kinder weinen können, um damit Menschen anzulocken und sie anschließend zu verspeisen. Eine eher unappetitliche Vorstellung, die jedoch darauf verweist, dass dem Weinen gegenüber zumindest unterschwellig zu allen Epochen auch eine gewisse Skepsis herrschte.

Aber "falsche Tränen" - gibt es so etwas überhaupt?



Tränen sind meistens echt

"Nein", antwortet Psychologe Groß bestimmt. "Selbst Schauspieler müssen sich erst in einen bestimmten Gefühlszustand versetzen, um weinen zu können." Wer aus dem fahrenden Auto schaue oder Zwiebeln schneide, könne seinen Tränenfluss ebenfalls nicht bewusst steuern.

Auch Uli Hoeneß habe, so vermutet Groß, auf der Jahreshauptversammlung des FC Bayern München nicht "aus Kalkül" geweint. "Der war in dem Moment wahrscheinlich einfach ergriffen oder fühlte sich schlicht beschissen." Häme sei in solchen Situationen fehl am Platze - und habe der reuige Steuersünder eigentlich auch nicht zu befürchten, so der Fachmann weiter. In aller Regel löse Weinen Mitleid aus, bisweilen höchstens Überraschung.



Weinen schafft Achtung

Trösten mag die traurigen Vertreter des starken Geschlechts auch die Erkenntnis, dass diejenigen, die sich schwach zeigen, normalerweise in der Achtung ihrer Mitmenschen steigen. Außerdem sind Uli Hoeneß und Co nicht allein: Immer mehr Männer bekennen sich zu ihren Gefühlen, weiß Groß aus eigener Praxiserfahrung. "Vor rund 40 Jahren, als ich mit der Arbeit als Psychotherapeut angefangen habe, kam kein Mann zu mir in die Sprechstunde. Das hat sich gründlich geändert." Inzwischen nähmen zu gleichen Teilen Männer wie Frauen seine Dienste in Anspruch.



Franziskus beklagt mangelndes Mitgefühl

Trotzdem: Luft nach oben gebe es in Sachen Bekenntnis zum Gefühl immer noch, sagt Groß. Das hat unlängst auch Papst Franziskus zum Thema gemacht. Inmitten einer "Globalisierung der Gleichgültigkeit" lebten die Menschen in einer Seifenblase und hätten das Weinen verlernt, sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche. Anlass war Franziskus' Besuch auf der Mittelmeerinsel Lampedusa, wo er ein mangelndes Mitgefühl mit Bootsflüchtlingen aus Afrika beklagte.

Angesichts des Umgangs der EU mit diesen Menschen mag dem ein oder anderen tatsächlich nur ein Gedanke durch den Kopf schießen: Zum Heulen.


Quelle:
KNA