Bischof Bahlmann zur Adveniat-Aktion 2020

"Überleben ist bei uns Alltag"

Brasilien ist eines der von Corona am schlimmsten betroffenen Länder weltweit. Anlässlich der Weihnachtsaktion von Adveniat erzählt der deutschstämmige Bischof Johannes Bahlmann über den Alltag in den ländlichen Regionen Brasiliens.

Bischof Bernardo Bahlmann zu Besuch im Quilombo Arapucú / © Florian Kopp (Adveniat)
Bischof Bernardo Bahlmann zu Besuch im Quilombo Arapucú / © Florian Kopp ( Adveniat )

DOMRADIO.DE: Ihre Diözese Óbidos ist ländlich geprägt. Wir wissen heute, dass sich das Corona-Virus vor allem in Ballungsräumen schnell ausbreitet. Wie haben Sie und die Menschen in Ihrem Bistum die letzten Monte erlebt? Ist die dünne Besiedlung ein Vorteil?

Bernhard Johannes Bahlmann OFM (Bischof von Óbidos, Brasilien): Als die Pandemie begann, hofften wir zunächst, dass sie sich im Amazonasgebiet nicht so stark ausbreiten würde. Das war zunächst auch so, die ersten Fälle haben Óbidos sehr langsam erreicht, weil die Grenzen zu den Nachbarstaaten geschlossen waren und unser Bürgermeister früh Gegenmaßnahmen ergriffen hat. Aber mit den ersten Fällen breitete sich das Virus dann sehr schnell aus, weil es bei den Menschen an Disziplin fehlte und weil Regeln zum Maskentragen oder Abstandhalten beispielsweise auch nicht kontrolliert wurden. Das hat zu einer schnellen Ausbreitung in den Städten geführt und dann auch auf dem Land.

Das war ein Schock für uns, weil wir gehofft hatten, dass es sich in ländlichen Gegenden nicht so massiv ausbreitet. Dort ist der entscheidende Nachteil, dass die medizinische Versorgung sehr schlecht ist. Die schweren Fälle mussten ins Feldlazarett von Santarém, was immerhin 120 Kilometer von uns entfernt liegt. Allein in der Stadt Óbidos haben wir jetzt schon über 50 Tote durch Corona. (Anm. der Red.: bei rund 50.000 Einwohnern)

DOMRADIO.DE: Ihr Bistum unterhält ein Krankenhaus und ein Krankenhausschiff, das auch in die weit entlegenen Regionen fahren kann. Wie ist die Lage da jetzt aufgrund der Pandemie?

Bahlmann: Es gibt Dörfer, in denen das Virus noch nicht angekommen ist und in anderen hat es sich rasend schnell ausgebreitet, je nachdem wie groß der Austausch mit anderen Gemeinschaften und Städten war. In den indigenen Gemeinschaften haben sich fast alle infiziert, also an die 90 Prozent, aber die Sterberate ist überraschend niedrig. Das Interessante daran ist, dass sie eigene Heilpflanzen und Medizin anwenden und fast durchweg leichte Verläufe haben.

DOMRADIO.DE: Ihr Bistum Óbidos ist ungefähr doppelt so groß wie Portugal und manche Regionen sind so entlegen, dass Sie oder ein Priester dort nur einmal im Jahr vorbeikommen können. Wie hält Kirche da den Kontakt zu den Menschen?

Bahlmann: Unser Bistum ist 182.000 Quadratkilometer groß und hier leben rund 300.000 Einwohner. 70 Prozent der Bevölkerung leben in den Städten, aber immerhin 30 Prozent auf dem Land. Und den Kontakt halten wir, weil wir ein großes Netzwerk an Laien aufgebaut und ausgebildet haben. Sie übernehmen Verantwortung vor Ort, sodass Gemeinden selbstständig funktionieren und die Mission fortgeführt werden kann.

In den vergangenen Monaten haben wir mit den Gemeinden über Internet Kontakt gehalten, sofern das möglich war. Aber jetzt haben wir wieder mit den Besuchen begonnen, weil die Menschen schon lange keinen Priester oder Ordensleute mehr gesehen haben. Für sie ist das sehr wichtig. Auf dem Land gibt es immer noch viele Gläubige.

DOMRADIO.DE: Laienpriester werden in Ihrem Bistum mit der Unterstützung des katholischen Lateinamerika-Hilfswerkes Adveniat ausgebildet. Warum sind die – neben den Gottesdiensten – so wichtig?

Bahlmann: Die Laien in unserer Diözese übernehmen Verantwortung in den Gemeinden, denn es ist natürlich unmöglich, dass in jeder kleinen Gemeinde sonntags eine Eucharistiefeier stattfindet. Dafür haben wir nicht genug Priester. Deshalb haben wir die Laien so gut ausgebildet, dass sie Gottesdienste leiten und der Liturgie vorstehen können. Zudem haben wir Kommunionhelfer und Wortgottesdienst-Leiter, die die Gottesdienste am Sonntag übernehmen. Ungefähr 80 Prozent unserer Gemeinden werden von Laien – Männer wie Frauen – geführt. Sie werden für diese Aufgabe drei Jahre lang von uns ausgebildet und regelmäßig finden auch Fortbildungen statt.

DOMRADIO.DE: Was brauchen die Menschen in Ihrem Bistum jetzt am meisten?

Bahlmann: Sie brauchen Orientierung und spirituelle Unterstützung, dass sie wissen, dass Kirche an ihrer Seite ist. Vieles kam in den vergangenen Monaten durch Corona zum Erliegen. Das kirchliche Leben braucht jetzt neuen Elan. Das ist die große Herausforderung für uns: Dass die Menschen merken: Gott ist präsent in meinem Leben.

Und die zweite große Herausforderung ist die caritative Seite. Viele Menschen haben ihren Job verloren und kein Geld mehr verdient. Wir müssen ihnen helfen, ihre Lebenssituation wieder zu stabilisieren, also einerseits spirituelle Unterstützung und andererseits psychologische und wirtschaftliche Hilfe zu bieten. Wir haben in den letzten Monaten viele Lebensmittel und Hygieneartikel verteilt. Das ist großartig gelaufen, weil wir viel Unterstützung von den Menschen bekommen haben, die helfen wollten. Vielen haben wir damit auch ein Zeichen der Hoffnung gesetzt, dass die Menschen wussten: wir sind nicht alleine.

Finanziell haben wir auch aus Deutschland Hilfe erhalten: Mit dem Geld von Adveniat konnten wir unser Krankenhausschiff besser ausstatten und dafür sind wir sehr dankbar. Das gibt auch Kraft und Hoffnung

DOMRADIO.DE: Sie sind langjähriger Partner des katholischen Lateinamerika-Hilfswerkes Adveniat, das am kommenden Sonntag seine Weihnachtsaktion im Bistum Würzburg eröffnet. Das Geld aus den Kollekten der katholischen Weihnachtsgottesdienste ist traditionell für die Menschen in Lateinamerika gedacht. Was ist Ihre Botschaft an die deutschen Katholiken zum diesjährigen Weihnachtsfest?

Bahlmann: Das diesjährige Thema von Adveniat ist "Überleben auf dem Land". In unserem Bistum gehört Überleben zum Alltag der Menschen und ich möchte den deutschen Katholiken für die vielen Gesten der Solidarität, der Hoffnung und der Nächstenliebe danken. Ich wünsche mir, dass wir alle gut durch diese Pandemie kommen und dass wir dafür sorgen, dass Christus unter uns geboren werden kann. In diesem Sinne wünsche ich allen frohe Weihnachten!

Das Interview führte Ina Rottscheidt.


Quelle:
DR