Um die Wiedergeburt des Tibeter-Oberhauptes gibt es Streit

Der doppelte Dalai Lama

Nach seinem Tod will der Dalai Lama in "der freien Welt" wiedergeboren werden, aber nicht in China. Peking hat eh eigene Pläne und will selbst eine Reinkarnation bestimmen. Es läuft wohl auf zwei konkurrierende Wiedergeburten hinaus.

Autor/in:
Andreas Landwehr
Dalai Lama / © Michael Buholzer (dpa)

Der Streit um die Wiedergeburt des Dalai Lama bringt den tibetischen Buddhismus in ein Dilemma. Wie schon beim zweithöchsten Religionsführer, dem Panchen Lama, wird es nach dem Tod des spirituellen Oberhauptes der Tibeter wohl auch zwei konkurrierende Reinkarnationen des Dalai Lama geben. Die kommunistische Führung in Peking beharrt darauf, in eigener Regie eine Wiedergeburt zu bestimmen. Der 89 Jahre alte Dalai Lama wiederum will nicht unter chinesischer Fremdherrschaft in Tibet, sondern im Ausland wiedergeboren werden.

Der Dalai Lama in seinem Zuhause in McLeod Ganj, Indien / © Salvacampillo (shutterstock)

Bei den Feiern zu seinem 90. Geburtstag am 6. Juli am Sitz der exiltibetischen Regierung im indische Dharamsala werden hohe tibetische Würdenträger auch zu Beratungen über die Reinkarnation zusammenkommen. In seinem neuen Buch "Eine Stimme der Entrechteten" gibt der Dalai Lama jetzt den Kurs vor: "Da der Zweck einer Reinkarnation darin besteht, das Werk des Vorgängers fortzuführen, wird der neue Dalai Lama in der freien Welt geboren." Die "traditionelle Mission des Dalai Lamas" müsse fortgeführt werden. Er solle "die Stimme des universellen Mitgefühls" und "das Symbol Tibets sein, das die Hoffnungen des tibetischen Volkes verkörpert", erklärt der 14. Dalai Lama seinen Auftrag.

Weiterer Dalai Lama soll folgen

Mit seinem Buch folgt Tenzin Gyatso, wie der 1959 vor den Chinesen nach Indien geflüchtete Religionsführer auf Tibetisch heißt, einem klaren Plan, den er bereits 2011 in Ausführungen zu seiner Reinkarnation festgelegt hatte. Er kündigte damals ausführliche Konsultationen unter anderem mit hohen Lamas und der tibetischen Öffentlichkeit an, ob die Institution des Dalai Lama "fortgesetzt werden sollte oder nicht". Seither sei er dabei "einhellig gebeten worden, sicherzustellen, dass die Abstammungslinie der Dalai Lamas fortgesetzt wird", schreibt er in dem Buch. Damit enden Spekulationen, dass er der letzte Dalai Lama sein könnte.

Die 600 Jahre alte Tradition, die vielleicht wichtigste in Tibets Geschichte, wird nunmehr fortgesetzt. So gehen die gläubigen Tibeter davon aus, dass ein lebender Buddha wie der Dalai Lama nach seinem Tod wiedergeboren wird - das Kontinuum des Bewusstseins fortgesetzt wird. Die Suche nach dem Kind stützt sich auf Hinweise des Verstorbenen, die Deutung von Träumen, Visionen, Naturphänomenen und ein Orakel.

China hat eigene Vorstellungen

Chinas Führung hat aber ganz eigene Vorstellungen über den Verlauf. Außenamtssprecherin Mao Ning beschrieb den Dalai Lama als "politischen Exilanten, der unter dem religiösen Deckmantel in anti-chinesische, separatistische Aktivitäten verwickelt ist und kein Recht hat, das Volk in Tibet zu repräsentieren". Die Linie des Dalai Lama als lebender Buddha habe sich in Tibet geformt und entwickelt. Die Auswahl der Wiedergeburt müsse sich an Chinas Gesetze halten und erfordere die Zustimmung der Zentralregierung in Peking, wie 2007 in einem Gesetz "zum Umgang mit Reinkarnationen lebender Buddhas" festgeschrieben worden war.

Große Halle des Volkes in China / © testing (shutterstock)

Seit der Kontroverse um den Panchen Lama in den 1990er Jahren, die Peking eher unvorbereitet traf, sind Pläne für die Reinkarnation des Dalai Lama entworfen worden. Nach dem Tod des Panchen Lama 1989 hatte dessen Heimatkloster Tashi Lhunpo die Wiedergeburt gesucht. Die Wahl fiel auf den damals sechsjährigen Gedhun Choekyi Nyima, den der Dalai Lama im Mai 1995 sehr zum Ärger Pekings anerkannte.

Chinas Behörden wechselten den Abt des Klosters aus, ließen den Jungen und dessen Familie bis heute verschwinden. Eine neue Suche wurde gestartet und ein anderer Sechsjähriger an seiner Stelle als Wiedergeburt vorgestellt: Gyaltsen Norbu, der dann unter der Obhut der Partei aufwuchs.

Forscher: Eine Frage der Politik

Der "chinesische Panchen Lama" ist heute mit 35 Jahren nicht nur Vizepräsident der buddhistischen Vereinigung Chinas, sondern sitzt auch im Führungsgremium der Politischen Konsultativkonferenz, einem Beratergremium der Regierung. So ist er nur eine politische Figur, die unter den Gläubigen aber keine religiöse Bedeutung genießt.

"Diese Zukunft mit zwei Dalai Lamas ist kein religiöser Streit, sondern eine Frage der Politik", sagt der renommierte Tibet-Forscher Robert Barnett von der Londoner School of Oriental and African Studies (SOAS). "Ist jemand ein Unterstützer der chinesischen Regierung oder nicht? Oder vielmehr: Muss man so tun, als ob man diese Regierung unterstützt oder nicht?" Tibeter in China müssten dem von Peking ausgesuchten künftigen Dalai Lama schon "aus politischen und praktischen Gründen folgen". Es sage aber nichts darüber aus, woran die Tibeter "wirklich glauben".

Buddhismus

Der Buddhismus ist eine der großen Weltreligionen; geschätzt sind 450 Millionen Menschen Buddhisten. Von sogenannten Glaubensreligionen wie dem Christentum, Judentum oder Islam unterscheidet sich Buddhas Lehre: Es handelt sich um eine Erfahrungsreligion, eine "Lehre des Geistes", wie auch der Hinduismus, Daoismus und Konfuzianismus. Im Mittelpunkt stehen philosophisch-logische Leitlinien als Basis zur Lebensführung. Der Buddhismus umfasst eine philosophische Lehre, ein Klosterwesen, verschiedene Religionsgemeinschaften und einfache Volksfrömmigkeit.

Garten des Buddhismus / © Heike Sicconi (DR)
Garten des Buddhismus / © Heike Sicconi ( DR )