UN-Experte Ralf Südhoff zur Hilfe für syrische Flüchtlinge in Nahost

Übergang zur Normalität schaffen

laut Ralf Südhoff vom UN-Welternährungsprogramm WFP hat sich die Lage für die syrischen Flüchtlinge in Jordanien deutlich verbessert. Jetzt fehlt noch Hilfe für ein eigenständiges Leben. 

Autor/in:
Burkhard Jürgens
Syrische Flüchtlinge in Azraq (Jordanien) / © Rainer Jensen (dpa)
Syrische Flüchtlinge in Azraq (Jordanien) / © Rainer Jensen ( dpa )

Angesichts der Syrien-Krise und ihrer Auswirkungen auf Anrainerstaaten entsendet das UN-Welternährungsprogramm WFP als neuen Leiter seines Regionalbüros in Amman den Deutschen Ralf Südhoff, bislang Direktor des Berliner WFP-Büros für das deutschsprachige Europa. An seinem künftigen Dienstsitz im jordanischen Amman sprach Südhoff mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) über die Lage der syrischen Flüchtlinge, die Rolle Deutschlands und strategische Veränderungen in der Hilfe.

KNA: Herr Südhoff, Sie kommen gerade aus dem Zaatari-Camp an der syrischen Grenze, wo fast 80.000 Flüchtlinge leben. Wie ist die Situation dort?

Ralf Südhoff: Im Camp hat sich in den vergangenen Jahren vieles verbessert. Bei meinem letzten Besuch vor drei Jahren wohnten viele in Zelten; wenn es regnete, hatten sie keinerlei Schutz. Inzwischen sind fast alle in Wohncontainern untergebracht. Die Bewohner können in Supermärkten per Iris-Scan einkaufen. Mehr und mehr Projekte wurden gestartet, um die Kinder in die Schule zu bringen. 25.000 von ihnen bekommen allein von WFP Schulmahlzeiten, die vielfach Flüchtlinge selbst produzieren; das schafft Arbeitsplätze insbesondere für Frauen. Man ist viel weiter, und das ist auch nötig. Die Menschen brauchen das Gefühl, dass sich etwas entwickelt.

KNA: Wollen die Menschen überhaupt noch nach Europa?

Südhoff: Die allermeisten sagten mir, dass sie nie nach Europa wollten. Hier ist ihre Heimat. Wenn sie können, wollen sie bleiben. Dazu brauchen sie aber eine Perspektive. Deshalb ist es wichtig, dass wir mit der Hilfe in der Region nicht nachlassen.

KNA: Ist das der Preis, den Europa zahlen muss, damit nicht noch mehr Migranten kommen?

Südhoff: Im Licht der Flüchtlingskrise in Europa hat allen voran die Bundesregierung verstanden, dass man die Unterstützung der Menschen hier sichern muss, damit sie überhaupt eine Chance haben, zu bleiben. Deutschland hat 2016 allein die Hälfte unserer Hilfe vor Ort finanziert. Außerdem ist es definitiv auch eine moralische Pflicht: Jordanien hat keine zehn Millionen Einwohner und beherbergt allein über 650.000 syrische Flüchtlinge, und seit Jahrzehnten sehr viele Palästinenser. Wie können wir erwarten, dass Jordanien sie noch länger beherbergt und noch mehr aufnimmt, wo sich ganz Europa schon von einer Million überfordert fühlt?

KNA: Welche Rolle sieht WFP hier für sich?

Südhoff: Zum einen haben wir die Nothilfe für bis zu sechs Millionen Menschen in Syrien und der Region aufrechtzuerhalten. Wir müssen aber auch den Übergang schaffen, dass sie wieder ein eigenständiges Leben führen können. Das wird die entscheidende Herausforderung der nächsten Jahre. Erreichen wollen wir das gemeinsam mit den gastgebenden Regierungen unter anderem durch Berufstrainings, Existenzgründungs- und Ernährungsprojekte.

KNA: Das geht weit über die klassische Nothilfe hinaus. Wird WFP zu einer Art Super-Agentur, die Bereiche anderer Entwicklungsorganisationen vereinnahmt?

Südhoff: Die Gefahr einer Super-Agentur besteht nicht - einfach weil die Aufgaben so immens sind und wir in enger Partnerschaft arbeiten, zum Beispiel mit Unicef, FAO, UNHCR. Was das Profil von WFP anbelangt, gibt es ein altes Missverständnis: Wir sind bekannt für Nothilfe und Luftbrücken, aber seit unserer Gründung in den 60er Jahren haben wir ein Mandat auch für Entwicklungsprogramme, um Ländern zu helfen, eigene Kapazitäten aufzubauen. Schulspeisungsprogramme beispielsweise betreiben wir seit 40-50 Jahren. In fast 40 Staaten haben wir sie inzwischen in die Hände der Regierung übergeben.

KNA: Drohen nicht dennoch bei einer so breit agierenden Hilfsagentur kleinere Player, die auf ihrem jeweiligen Feld bislang gute Arbeit gemacht haben, an die Wand gespielt zu werden?

Südhoff: Diese Gefahr besteht insofern nicht, als WFP gerade auf solche Partner angewiesen ist. Wir sind eine sehr große Organisation, aber die Zusammenarbeit mit über 1.000 Nichtregierungsorganisationen weltweit ist für uns ganz entscheidend. Sie machen in kleinerem Rahmen und an bestimmten Orten das, was sie besonders gut können, etwa bei der Registrierung, dem Monitoring oder der Verteilung. WFP bringt dann die Qualifikation ein, die große Struktur zu schaffen.

Wir können auch besser tausende Tonnen Nahrungsmittel in Syrien bewegen oder Partner wie Mastercard gewinnen, um ein flächendeckendes Geldkarten-System für Hilfsbedürftige zu entwickeln.

KNA: Deutschland gibt viel - allein für die Syrienhilfe waren es 570 Millionen Euro im vergangenen Jahr. Wer gibt bei WFP den Ton an, wenn es um Schwerpunkte der Hilfe geht?

Südhoff: Den Ton bei WFP gibt das Executive Board an - eine Art Aufsichtsrat, in dem 36 Staaten sitzen, sowohl Geberländer als auch Länder, in denen wir operieren. Bei einer Organisation wie WFP, die komplett freiwillig finanziert wird, steht es den Regierungen frei, ausdrücklich bestimmte Aktivitäten zu fördern. Insofern besteht ein sehr direkter Einfluss von Berlin. Mit der Bundesregierung hat sich in den vergangenen Jahren aber auch ein enger programmatischer Austausch entwickelt. Dabei hat man auf Wünsche von WFP reagiert, in mehrjährigen Programmen zu denken und die Mittel früher im Jahr bereitzustellen.

KNA: Was hat sich konkret verändert?

Südhoff: Berlin hat die humanitäre Hilfe in den vergangenen Jahren massiv ausgeweitet - dies zunächst auf Grundlage von Sondermitteln, die das Auswärtige Amt erst im Lauf des Jahres bekam. Nun ist das betreffende Budget im regulären Haushalt deutlich erhöht in einer Größenordnung von hoffentlich dauerhaft 700 bis 800 Millionen Euro.

Das hilft allen Partnern. Es ist ein Unterschied, ob man von Anfang an planen kann, auch finanziell: Wir sparen bis zu 30 Prozent unserer Kosten, wenn wir frühzeitig planen können. Deshalb ist es so wichtig, dass ich schon Anfang des Jahres meinen Kollegen versichern konnte: Deutschland wird uns 2017 mindestens eine halbe Milliarde Euro zur Verfügung stellen.

KNA: Wirkt umgekehrt WFP auch auf die humanitäre und entwicklungspolitische Agenda der Bundesregierung ein?

Südhoff: International wird unter anderem debattiert, wie Hilfe noch effizienter werden kann. Einer der spannendsten Schwerpunkte, den auch die Bundesregierung gesetzt hat, betrifft das sogenannte Forecast-based Financing - also Hilfe auf der Basis von Vorhersagen. Wir geben Krisenhilfe, bevor die Krise da ist. Das kostet am Ende teils ein Drittel dessen, was sonst nötig wäre. Bangladesch beispielsweise wird regelmäßig von Fluten getroffen.

Inzwischen gibt es immer präzisere Voraussagen, wann und wo genau das eintritt. Wenn wir als Hilfsorganisation nicht warten müssen, bis die Flut da ist, Straßen unpassierbar und die Menschen geflohen sind, können wir vorab Nahrungsmittel bereitstellen und die Bevölkerung vorbereiten statt später extrem kostspielige Luftbrücken aufzubauen. Das sind enorme strategische Verbesserungen im Bereich humanitäre Hilfe.

Im Entwicklungsbereich ist größere Eigenständigkeit der Hilfe angesichts der Klimaveränderung und der zunehmenden Wetterdesaster ein Thema - Wetterversicherungen, selbst für ganze Staaten, spielen schon heute eine spannende Rolle. In der Entwicklungszusammenarbeit gibt es noch immer eine zu große Lücke zwischen kurzfristiger Hilfe und langfristigen Programmen. Die Frage ist, wie der Übergang noch besser gelingen kann. Da liegt viel Arbeit vor uns, und dabei ist Deutschland ein sehr wichtiger strategischer Partner.


Quelle:
KNA