Das Spektrum ist vielfältig: sozialpolitische Dokumente aus den Militärdiktaturen in Argentinien und Chile, Gerichtsakten und Sklavenregister, das Lepra-Archiv aus dem norwegischen Bergen, aber auch Partituren und Handschriften berühmter Künstler. Sie alle stehen als Spiegel der Zeitgeschichte im Weltdokumentenerbe der Unesco. Am Donnerstag nimmt die Deutsche Unesco-Kommission (DUK) 14 Schriften Martin Luthers mit der offiziellen Urkundenverleihung neu in das Verzeichnis auf.
Plakatdruck der 95 Ablassthesen
Es handelt sich um Briefe und Originaldrucke, darunter ein Handexemplar der Hebräischen Bibelausgabe und ein Plakatdruck der 95 Ablassthesen. In dem vom Leibniz-Institut für Europäische Geschichte in Mainz erstellten Dossier zur Nominierung hieß es, die Dokumente zeigten, wie ein religiöser, kirchlicher Impuls - ausgehend von der Frage nach der Beziehung des Menschen zu Gott - einen tiefgreifenden Transformationsprozess in Gang setzen könne, der Religion, Politik, Gesellschaft und Kultur veränderte, nicht zuletzt durch neue Formen medialer Verbreitung.
Für den Direktor der Luthergedenkstätten in Wittenberg, Stefan Rhein, beantwortet sich mit der Aufnahme ins Weltdokumentenerbe "gerade noch rechtzeitig vor dem großen Reformationsjubiläum die drängende Frage: 'Wem gehört Luther?' Die Antwort lautet dann: 'Der ganzen Welt!'" Denn Luther "gehöre" eben nicht nur dem deutschen Protestantismus, sondern der gesamten Zivilgesellschaft ebenso wie der internationalen Ökumene.
Rechtzeitig vor dem großen Reformationsjubiläum
Das passt zu den Kriterien, nach denen die Unesco über die Aufnahme von Dokumenten in die Liste entscheidet: Sie müssen authentisch, weltweit bedeutsam, einzigartig und unersetzbar sein. DUK-Sprecherin Katja Römer bezeichnet das Verzeichnis als digitalisiertes Gedächtnis der Menschheit. Die Arbeiten an den Bewerbungsdossiers dauern teils über Jahre - auch wenn bei manchen eingetragenen Dokumenten auf der Hand zu liegen scheint, warum ihre Bewerbung erfolgreich war, etwa beim Tagebuch der Anne Frank.
Insgesamt ist das Weltdokumentenerbe weniger bekannt als es die Welterbestätten sind - trotz mancher Initiativen der DUK und der Institutionen, die Welterbe-Dokumente beherbergen. "Dokumente sind schwerer zu greifen als bauliche Monumente, die für jeden zugänglich und auch fotografisch leicht erfassbar sind", erklärt Römer.
Öffentlichkeit der Dokumente
Hinzu kommt: Nicht bei allen Dokumenten besteht Einigkeit darüber, dass sie für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht und langfristig erhalten werden sollen. Laut dem Vorsitzenden des Deutschen Nominierungskomitees, Joachim-Felix Leonhard, war dies etwa bei den Dokumenten zum Aufstand gegen die südkoreanische Militärdiktatur 1980 oder mit den Dokumenten zum Menschenrechtsarchiv über die chilenische Militärdiktatur der Fall. "Da gab es durchaus Kräfte, die von ihrer politischen Position her eine Aufnahme in das Dokumentenerbe nicht befürwortet haben", sagt er.
Zugleich ist genau dieses Aufzeigen von Wendepunkten ein zentrales Anliegen des Dokumentenerbes. Das muss sich nicht allein auf politische Umbrüche beziehen. Die Luther-Schriften sind zugleich ein Beispiel für einen massiven kulturellen Wandel. Sie machten "auf einzigartige Weise den Geist der Reformation sichtbar", erklärt die DUK. Und mit diesen geistigen Veränderungen sei eine "technisch-mediale Revolution" einhergegangen, "die ihren Einfluss über alle Kontinente hinweg bis heute ausübt".
Verpflichtung, die Werke zu erhalten und zu schützen
Eine finanzielle Förderung ist mit dem Eintrag ins Register nicht verbunden - vielmehr die Verpflichtung, die Werke zu erhalten und zu schützen. Viele Antragsteller erhalten jedoch aufgrund des Titels Gelder zum Erhalt der Dokumente, etwa von Seiten ihrer Regierung oder auch privaten Partnern. Und, so betont Römer: "Die einreichenden Institutionen betrachten es in der Regel als große Ehre, Dokumente zu beherbergen, die für die ganze Menschheit bedeutsam sind."