UNICEF ruft zu weiteren Spenden für Menschen in Afrika auf

Hunger und kein Ende in Sicht

Langsam verschwindet die Hungerkatstrophe am Horn von Afrika aus den Schlagzeilen – doch die Not bleibt: "Kinder, die an Schwelle zum Tod stehen", habe er gesehen, berichtet Christian Schneider im domradio.de-Interview. Der UNICEF-Geschäftsführer ist gerade aus Afrika zurückgekehrt.

 (DR)

domradio.de: Sie sind gerade aus Afrika zurückgekommen, waren in Dadaab und Südsomalia - welche Situation haben Sie dort vorgefunden?

Schneider: Ganz wichtig war uns, vor allen Dingen von der Situation der Menschen in Südsomalia einen Eindruck zu bekommen: Denn es ist ja so, dass die Menschen - alleine in der vergangenen Woche etwa 8.400 -, die das Flüchtlingslager in Dadaab erreichen, zunächst mal auch die Hilfe erreicht haben, also Hoffnung haben können. Während UNICEF sich um die Situation der vielen Kinder in Somalia weiter große Sorgen macht. Wir haben in Südsomalia eine Zeltküche besucht, in der UNICEF die dort ankommenden Mütter und ihre Kinder versorgt. Und deren Zustand ist schon sehr besorgniserregend. Es ist so, dass die meisten der Mütter, die wir gesprochen haben, seit Monaten unterwegs sind durch diese Dürreregionen auf der Suche nach Schutz und vor allen Dingen nach Nahrung und sauberem Trinkwasser. Fast alle Kinder, die wir in dieser Zeltküche begrüßen konnten, sind in einem Zustand, dass sie sofort Spezialnahrung brauchen, d.h. das sind die Kinder, die von heute auf morgen an Schwelle zum Tod stehen.



domradio.de: Zehntausende Menschen sind in den vergangenen Monaten gestorben, vermutlich war jedes zweite Opfer ein Kind. Das ist die größte Hungersnot seit Jahrzehnten - wie kann UNICEF den Kindern am effektivsten helfen?

Schneider: Es gibt zwei große Bereiche der Hilfe im Moment: Zum einen hat UNICEF mit vielen anderen Organisationen gemeinsam in Dadaab versucht, diese große Gruppe der dort angekommenen Flüchtlinge in den letzten Monaten zu versorgen. Das ist eine Herkulesaufgabe, aber es ist auch gleichzeitig faszinierend zu sehen, dass das für die schwerstmangelernährten Kinder gelingt. Ich habe in Dadaab ein Zentrum für die schwersten Fälle von Mangelernährung besucht. Und da mitzuerleben, wie innerhalb weniger Tage, wenn denn die Therapie mit Spezialmilch, Erdnusspaste und medikamentöser Behandlung greift, die Kinder auch schon nach wenigen Tagen zu Kräften kommen. Die Situation war dort so, dass von 114 Kindern, die im August aufgenommen wurden, vier Kinder in den ersten 24 Stunden gestorben sind. Das zeigt einerseits, wie geschwächt die Kinder dort ankommen. Es zeigt andererseits, dass es eben gelingt, viele der Kinder zu retten - wenn denn die Hilfe ankommt.



domradio.de: Reicht diese Hilfe aus - oder ist angesichts der großen Not die Hilfe nur ein Tropfen auf den heißen Stein?

Schneider: Sobald wir die Kinder erreichen können, greift die Hilfe. Für UNICEF ist das Wichtigste im Moment, dass wir eine ganz lange Strecke sehen müssen. Vor allen Dingen für die Somalis stehen harte Monate weiter bevor. Es ist so, dass wir einerseits natürlich auf den Regen jetzt im Oktober hoffen. Gleichzeitig bringt der Regen die Gefahr mit sich, dass die Zahl der akuten Durchfallerkrankungen, vielleicht auch Cholera, weiter zunimmt. UNICEF sieht auch, dass die Ernte, die in diesem Jahr hoffentlich noch ansteht, bei weitem nicht ausreicht, die Ernährung der Bevölkerung zu sichern. Das heißt wir müssen uns auf mehrere Monate einstellen, in denen wir diese Hilfe massiv ausweiten und fortsetzen müssen.



domradio.de: Warum verschärft sich die Situation immer noch, obwohl so viel geholfen wird?

Schneider: Es ist so, dass der Zugang zu vielen somalischen Dörfern weiterhin schwierig ist. UNICEF kann in Südsomalia helfen, über ein Netzwerk von 70, 80 Partnern alleine im Süden, auch über 500 einfache Ernährungszentren, dort kommt die Hilfe an. Aber viele Dörfer und vor allen Dingen die vielen Menschen auf der Flucht sind natürlich schwer zu erreichen. Diese Menschen sind jetzt über viele, viele Monate, zum Teil zwei Jahre, den Weg durch die Dürre gegangen. Hinzu kommt, dass der Konflikt an vielen Stellen des Landes immer wieder hochkommt, so dass die Hilfe jeden Tag neu organisiert werden muss. Und da ist es schwer, eine so große Bevölkerung wirklich rechtzeitig zu erreichen. Und die Situation verschärft sich für die Menschen im Grunde mit jedem weiteren Tag, an dem sie von Nahrung und sauberem Trinkwasser abgeschnitten sind.



domradio.de: Welche Herausforderungen sehen Sie da für UNICEF?

Schneider: Die größte Herausforderung ist tatsächlich, diesen langen Zeithorizont zu sehen. Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir unter den schwierigsten Bedingungen in Somalia diese Hilfe über mehrere Monate organisieren müssen, mit vielen, vielen Partnern. Dafür braucht es einerseits Geld, wir brauchen weiter Spenden und Regierungsgelder, um das organisieren zu können. Ein Beispiel: Wir haben alleine in den letzten Wochen seit Anfang Juli über 60 Hilfsflüge nach Somalia reingebracht, wir müssen das über LKW-Transporte organisieren. Und diesen Zeithorizont zu sehen und auch öffentlich Unterstützung für die Hilfe am Horn von Afrika weiter zu mobilisieren - das ist jetzt unsere große Aufgabe.



Das Gespräch führte Dagmar Peters.