Juliette Kouassi Adjobo steht vor ihrem kleinen Geschäft, das im Zentrum des Marktes von Bonoua, einer Stadt im Südosten der Elfenbeinküste, liegt. Nebenan summt eine Nähmaschine. Auf der Straße bietet eine Verkäuferin frische Ananas an. Die Regale von Juliette Kouassi Adjobo sind jedoch leer. Ende August haben Unbekannte bei Ausschreitungen ihren kleinen Laden gestürmt und Bücher und Hefte zerstört, die sie an Schüler und Studenten verkaufen wollte. "Jetzt habe ich mir vor einigen Wochen wieder Geld geliehen, um wieder anzufangen." Ein gutes Gefühl hat sie nicht. In der Elfenbeinküste stehen am Samstag Präsidentschaftswahlen an. Die Sorge ist groß, dass die Gewalt wieder ausbricht.
Die hat seit August immer mehr zugenommen. Einer der Schauplätze ist Bonoua gewesen. Seitdem sind mehrere Dutzend Menschen ums Leben gekommen. Hauptauslöser ist die erneute Kandidatur Alassane Ouattaras, die 2016 per Verfassungsänderung möglich wurde. Die Neufassung erlaubt zwar auch nur zwei Amtszeiten von je fünf Jahren, rechnet frühere Mandate aber nicht ein. Von seiner Partei, der Sammlung der Houphouetisten für Demokratie und das Volk (RHDP), wird die Entscheidung mit dem Tod von Premierminister Amadou Gon Coulibaly gerechtfertigt, der überraschend im Juli gestorben war und die Nachfolge des 78-Jährigen hätte antreten sollen. Die Opposition fühlt sich indes betrogen.
Kritik der Kirche
Kardinal Jean-Pierre Kutwa (74), Erzbischof von Abidjan, nannte das dritte Mandat "unnötig" und sagte Ende August vor Journalisten, die Elfenbeinküste könne eine "gefährliche Wende" nehmen. Das Land (27,5 Millionen Einwohner) gilt zwar als Wirtschaftsmotor im frankophonen Westafrika und hatte in den Jahren vor der Corona-Pandemie ein Wirtschaftswachstum von durchschnittlich rund sieben Prozent. Zugleich ist es immer wieder Schauplatz schwerer Krisen. Nach einem Staatsstreich und Bürgerkrieg kam es nach der Präsidentschaftswahl 2010 zu Unruhen mit mehr als 3.000 Toten.
Die Frustration rührt auch daher, dass Ouattaras alter Kontrahent Laurent Gbagbo (75) nicht als Kandidat zugelassen wurde. Nach einer Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag lebt der Kopf der Ivorischen Volksfront (FPI) im belgischen Exil und hat sich am Donnerstag in einem Interview mit dem Fernsehsender "TV5Monde" erstmals seit neun Jahren geäußert: Er stehe entschlossen hinter der Opposition. Auch forderte er zum Dialog zwischen den Parteien auf.
Situation scheint ausweglos
Aktuell sind die Fronten aber so verhärtet, dass Gespräche kaum vorstellbar sind. Ebenfalls aus Europa hetzt etwa Guillaume Soro, einstiger Rebellenchef, Premierminister und ebenfalls nicht zugelassener Bewerber. Er twittert, dass am Samstag keine Wahlen stattfinden werden. Unklar ist, wie viele Unterstützer er in seiner Heimat noch hat.
Zwei der drei zugelassenen Oppositionskandidaten - Expräsident Henri Konan Bedie (86) von der Demokratischen Partei der Elfenbeinküste (PDCI), ein Dinosaurier der ivorischen Politik, sowie der weniger einflussreiche FPI-Kandidat Pascal Affi N'Guessan (67) - haben zudem zum aktiven Boykott aufgerufen. Möglicherweise werden am Samstag Menschen am Wählen gehindert. Schon jetzt sind überall in der Hafenstadt Bonoua patrouillierende Polizisten zu sehen. Die Stadt ist in Alarmbereitschaft.
Fehlender Dialog
Was vor allem fehlt, ist die Aufarbeitung der Krisen, verbunden mit Dialog und Versöhnung. "Ohne Versöhnung kann es keinen sozialen Frieden geben", so Kardinal Kutwa. Dass sei jedoch ein Prozess mit Höhen und Tiefen, sagt Arsene Konan von der "Initiative für Dialog und Maßnahmen für den Frieden in der Elfenbeinküste" (Indigo). Er lasse sich nicht anordnen, sondern sei vielmehr langfristige Arbeit.
Für Anta Coulibaly soll sich jedoch am besten gar nichts ändern. Die junge Frau ist kurz vor der Wahl zum Kreisverkehr Mel Theodore zum Feiern gekommen. Dort hat die RHDP ein Partyzelt aufgebaut und will für ordentlich Stimmung sorgen. Konkrete Beispiele, wie sich ihr Leben unter der Ouattara-Regierung in den vergangenen Jahren verbessert hat, kann sie zwar nicht nennen. Aber sie schwärmt. "Er macht viel für die jungen Menschen, für die Wirtschaft. Ich möchte, dass Ouattara noch viele Jahre an der Macht bleibt."
Katrin Gänsler