DOMRADIO.DE: Wie erleben Sie die Reaktionen auf Ihre Wahl zur neuen Präses? Hätten Sie mit einer so riesigen Resonanz gerechnet?
Anna-Nicole Heinrich (Präses der Evangelischen Kirche in Deutschland): Tatsächlich nicht. Ich dachte schon, dass es vielleicht für alle ein bisschen aufregend ist, jetzt einen so jungen Menschen in dieses Amt gewählt zu haben. Aber es ist doch anscheinend für alle interessanter, als ich das selbst dachte.
DOMRADIO.DE: Es ist aber sicherlich auch eine ganz schöne Herausforderung, mit so viel Vorschusslorbeeren an die Arbeit zu gehen. Wie gehen Sie damit um?
Heinrich: Eine der größten Herausforderungen ist, das neue Amt gut mit dem normalen Leben, meinem Studium und meiner Arbeit zu koordinieren. Ich arbeite ja auch noch 20 Stunden die Woche ganz normal. Aber das klappt gut und die Lorbeeren, glaube ich, tun jetzt gut. Die hebe ich mir dann ganz doll für die Zeiten auf, wo es dann auch irgendwie haariger wird.
Aber natürlich erhöht das jetzt aber auch meine Lust daran, mich schnell in die Themen einzuarbeiten, schnell reinzukommen und dann auch wirklich das Amt ausfüllen zu können.
DOMRADIO.DE: Haben Sie denn schon eine Idee, wie Sie das alles unter einen Hut bekommen wollen? Also Studium und jetzt diese neue, herausfordernde Aufgabe.
Heinrich: Ja, tatsächlich klappt das bis jetzt schon richtig gut. Ich arbeite jetzt auch wieder ganz normal. Letzte Woche hatte ich ein paar Überstunden abgebaut, aber ich bin da ganz zuversichtlich. Das ist ein Ehrenamt. Ich bin nicht alleine in dem Ehrenamt. Ich bin die Präses. Oder ich sage auch jetzt gerne "wir sind Präses". Denn es gibt ein gesamtes Präsidium. Wir haben die Synode, das ist einfach ein gutes Team. Und gemeinsam werden wir das so gestalten, dass das für uns alle richtig gut wird.
DOMRADIO.DE: Es gibt ja viele Themen, immer mehr Menschen sind enttäuscht von der Kirche, egal ob evangelisch oder katholisch. Was wollen die Gläubigen von der Kirche? Woher kommt diese Enttäuschung?
Heinrich: Ich glaube, tatsächlich werden wir - wenn die Corona-Pandemie vorbei ist oder die Lockdown-Situation es wieder zulässt - als Kirche ins Gespräch hinein gehen müssen. Wir müssen Prozesse begleiten, Trauerprozesse begleiten, aber auch helfen und gesellschaftlich verstehen, was das mit uns gemacht hat. Ich glaube, das ist ganz ad hoc etwas, mit dem wir den Menschen Halt geben können und ihnen dadurch das Gefühl nehmen können, die Kirche sei nicht präsent.
DOMRADIO.DE: Viele kritisieren die Kirchen, dass sie gerade in dieser Corona-Zeit versagt hätten und sich in kircheninterne Streitereien verzetteln. Wie sehen Sie das?
Heinrich: Das würde ich nicht so sehen. Ich glaube in den letzten Monaten entstand an ganz, ganz vielen Stellen das Gefühl, dass Sachen nicht präsent waren, Sachen nicht stattgefunden haben. Ich glaube, wir haben uns als Kirchen da sehr verantwortlich verhalten und tun es auch immer noch. Wir sind präsent und für die Menschen da.
Ich glaube, gerade der diakonische und seelsorgerische Kontext ist da nicht zu vernachlässigen und der muss in den Blick genommen werden. Aber ich kann es auch total nachvollziehen, dass man generell in so einer Situation, die wir alle vorher nicht kannten, von allen Seiten das Gefühl hat, da ist zu wenig da, da passiert nichts. Es ist ja auch wirklich generell allgemein nicht so viel passiert.
DOMRADIO.DE: Wie kann man denn konkret alte Formen des Glaubens wie das Gebet oder den Gottesdienst in der Kirche wieder für die Menschen attraktiver machen?
Heinrich: Wieder attraktiver machen? Ich würde jetzt sagen, das sind Formen, die attraktiv sind. Mir zum Beispiel hilft es total, wenn ich das Gefühl habe, dass denjenigen, der da was anleitet, was vorbetet, sonst irgendwie eine Veranstaltung plant, Gottesdienst durchführt, das auch betriftt. Wenn den das berührt, wenn er wirklich dahinter steht, was er sagt, dann kommt das auch bei mir an, egal ob das dann die Form ist, die ich gerne mag oder ob ich mich gerade einfach nur mitreißen lasse.
Dann kann das auch das Stundengebet sein, was mit Techno-Musik hinterlegt ist, obwohl ich sonst nicht so oft Techno-Musik höre. Das kann aber auch der pompöse protestantische Gottesdienst mit Posaunenchor sein.
DOMRADIO.DE: Ökumene ist ganz sicher ein großes Thema der Zukunft. Wie sehen Sie das Verhältnis der evangelischen zur katholischen Kirche?
Heinrich: Ich selber arbeite ja bei Professorin Ute Leimgruber an einer katholischen Fakultät. Das ist für mich schon ein großer Schritt der gelebten Ökumene. Uns verbindet mehr als uns trennt. Und das werden wir in Zukunft noch viel stärker ausgestalten, zusammenrücken. Der ökumenische Kirchentag, auf dem ich dann spontan auch noch teilnehmen durfte, war ein großartiges Signal. Da, wo ich auch erste Gespräche führen konnte, bin ich ganz zuversichtlich, dass das spannende Jahre werden für die Ökumene in Deutschland und natürlich auch darüber hinaus.
DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie sich denn für die Ökumene, an der Sie ja sehr nahe dran sind?
Heinrich: Offenheit und Freude, das alles in Zukunft zu gestalten.
DOMRADIO.DE: Wie beobachten Sie ganz konkret die Entwicklungen in der katholischen Kirche, also Bewegungen wie Maria 2.0? Unterstützen Sie die?
Heinrich: Ich finde super wichtig, dass wir in Kirche Initiativen erlauben, die sich "Diskurs-Räume" erkämpfen. In der evangelischen Kirche gibt es das ja bei unterschiedlichen Themen auch. Das ist wichtig. Ich glaube, nur so bewegen wir uns als Kirche.
Als Beispiel ist da auch die ganze Sache mit der Partizipation junger Menschen in der evangelischen Kirche in Deutschland zu nennen. Da lehne ich mich jetzt ein bisschen weit aus dem Fenster, wenn ich sage, das wurde von einer Initiative angestoßen. Aber das war ein stetiger Prozess, wo immer wieder junge Menschen Partizipation eingefordert haben und sich dadurch in der Institution bei uns "Diskussions-Räume" eröffnet haben.
Das ist einfach super wichtig. Diese Initiativen wird es hoffentlich in Zukunft für viel mehr Themen geben.
DOMRADIO.DE: Viel diskutiertes Thema ist auch das gemeinsame Abendmahl. Wie stehen Sie dazu?
Heinrich: Gleiche Antwort wie beim ökumenischen Kirchentag, würde ich sagen. Uns verbindet mehr, als uns trennt. Ich fand es ein gutes Zeichen, dass man am Ökumenischen Kirchentag dort einfach gelebte Praxis einmal gezeigt hat.
Das Interview führte Carsten Döpp.