Die Missbrauchskrise sei ein tiefer Einschnitt in der Kirchengeschichte, schreibt Wilmer in einem Beitrag für die aktuelle Ausgabe der "Herder Korrespondenz". Die Situation sei vergleichbar mit der Situation nach dem großen Erdbeben von Lissabon im Jahr 1755, das damals einen Wendepunkt im philosophischen und theologischen Denken einleitete.
Nach dem Bekanntwerden der Missbrauchskrise gehe es "nicht darum, eine ganz neue Theologie zu schreiben"; die Kirche könne aber nicht so tun, als müsse sie theologisch nicht darüber nachdenken.
Bis heute fehle ihm die "existenzielle Tiefe der Debatte", schriebt Wilmer und verteidigt in diesem Zusammenhang seinen umstrittenen Satz, wonach der "Machtmissbrauch zur DNA der Kirche" gehört. Dazu erklärt er: "Manche haben mir vorgeworfen, ich würde die Kirche kaputtreden. Ich sage aber nur, dass die Kirche auch eine menschliche Institution ist, was sonst? Und qua menschliche Institution ist sie nicht besser als eine andere Gruppierung von Menschen (...) und bedarf der Führung, der Regeln und der Kontrolle."
Überzeugendes Konzept fehlt
Mit Blick auf die innerkirchliche Reformdebatte meint Wilmer: "Wir müssen lernen, dass unser Glaube uns Verzweiflung und Niedertracht, Ausweglosigkeit und Starrheit nicht erspart." Reformen könnten die Gestalt der Kirche vielleicht verbessern und sie lebendiger machen. Entscheidend sei aber die existenzielle Dimension des Glaubens.
Wilmer beklagt in seinem Text, dass der Kirche heute ein "überzeugendes Konzept zur Mission, zur Evangelisierung, zur Offensive" fehle und stellt fest: "Wir sind hilflos". Weiter schreibt der Bischof: "Unsere Kirchen sind oft herausgeputzt, aber leer. Unsere Kirchen drohen zu Museen zu verkommen." Mit Blick auf die deutsche Theologie kritisiert Wilmer zu viel "Selbstbezogenheit" und zu wenig Aufmerksamkeit für die theologische Debatte in anderen Ländern und Kulturen.
Kardinal Woelki hatte Wilmers Äußerungen kritisiert
Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki hatte die Aussage Wilmers zur DNA in einem Interview mit dem Deutschlandfunk im Dezember vergangenen Jahres zurückgewiesen. Aus Sicht des Kölner Erzbischofs ist der Hildesheimer Bischof in der Debatte über sexuellen Missbrauch in der Kirche zu weit gegangen. Dessen Aussage, der Missbrauch von Macht stecke "in der DNA der Kirche", stimme nicht. "Denn wenn das so wäre, dann müsste ich aus der Kirche austreten."
Wenn das Böse der Struktur der Kirche eingestiftet wäre, dann müsste der Staat gleich handeln und die Kirche verbieten, so Woelki weiter: "Nein, es steckt nicht in der DNA der Kirche."
Zugleich betonte der Kardinal, dass der Vertrauenverlust der Kirche aufgrund der Missbrauchsfälle durch Priester immens sei. Er räumte ein, dass "wir viel zu lange Betroffenen nicht geglaubt haben und dass wir so etwas lange nicht für möglich gehalten haben". Woelki sagte wörtlich: "Das ist eine schwere Schuld, die wir auf uns geladen haben."