Unterzeichner des Memorandums im Interview

Die Kirche muss sich "ehrlich machen"

Prof. Dr. Reinhard Feiter von der Universität Münster ist einer der über 150 Unterzeichner des Memorandums "Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch". Im domradio.de-Interview erläutert der Theologe, warum das Schreiben nicht als Appell an die Bischöfe sondern als Anregung für das gesamte Gottesvolk zu verstehen sei.

 (DR)

domradio.de: Warum haben Sie das Memorandum unterschrieben, was sind Ihre ganz persönlichen Gründe?

Prof. Dr. Reinhard Feiter: Ich bin Lehrer der Theologie an einer Universität, ich bin verantwortlich für die Ausbildung von Theologinnen und Theologen, die sowohl in der Schule als auch in der Pfarrei in den Bistümern arbeiten werden. Und ich sehe einen großen Bedarf daran, um es einmal pointiert zu sagen, dass die Kirche sich ehrlich macht. Das wir nicht hinter vorgehaltener Hand Dinge kritisieren oder stöhnen, sondern dass wir in einen offenen gemeinsamen Austausch kommen.

domradio.de: "Die tiefe Krise unserer Kirche fordert, auch jene Probleme anzusprechen, die auf den ersten Blick nicht unmittelbar etwas mit dem Missbrauchsskandal zu tun haben". Diesen Satz haben auch Sie unterschrieben.

Prof. Dr. Reinhard Feiter: Aus meiner pastoraltheologischen Perspektive ist ein zentrales Problem die Frage nach der Zukunft der Gemeinden im Sinne der Ortsgemeinden. Die Frage wird sein, wie gemeindliches Leben, d.h. Leben, in dem Menschen geistliche und materielle Güter miteinander teilen, in Zukunft aussehen soll und wie das gestaltet werden kann. In diesem Zusammenhang gibt es nicht nur die Frage nach der Zukunft des ordinierten Dienstes in der Kirche, sondern danach , wie Menschen wirklich als verantwortliche Gläubige teilhaben und auch Verantwortung in ihren Gemeinden wahrnehmen können.

domradio.de: Warum wurden die Probleme in der Vergangenheit ihrer Meinung nach nicht angegangen?

Prof. Dr. Reinhard Feiter: Ich würde nicht sagen, dass sie in der Vergangenheit nicht angegangen worden sind, das wäre ungerecht, das würde vielen, die in den Bistümern Verantwortung tragen und sich Sorgen machen, nicht gerecht werden, wir haben aber vielleicht noch zu wenig Mut und zu wenig Vertrauen in die Gläubigen selbst. Wir haben eine lange Tradition, in der Gemeinden auf den Pfarrer orientiert und fixiert waren, und wir haben einfach noch wenig Erfahrung damit, dass Gläubige Verantwortung in den Gemeinden wahrnehmen. Die Pfarrgemeinderäte und die Kirchenvorstände sind wahrscheinlich erst der Anfang gewesen. Wir versuchen noch viel zu stark, Aufgaben gewissermaßen vorzudefinieren und danach zu fragen, wer es dann tut. Wer macht es jetzt? Statt umgekehrt danach zu fragen, wo sind Gläubige, die Verantwortung übernehmen wollen, wo sind Charismen, die etwas einbringen können und von dort aus Gemeinde zu bauen und zu verlebendigen. Und nicht sofort schon zu wissen, wie denn die Gemeinde der Zukunft aussehen soll.

domradio.de: "Die Kirche braucht auch verheiratete Priester und Frauen im kirchlichen Amt" - so heißt es in dem Aufruf. Der Vatikan hat sich aber schon mehrmals ablehnend zu diesen Forderungen geäußert. Wie realistisch ist also die Erfüllung Ihres Aufrufes?

Prof. Dr. Reinhard Feiter: Also, wissen Sie, wenn man jede Stellungnahme und jeder Überlegung daran misst, ob sich das nun sofort, unmittelbar oder wann auch immer realisieren lassen, dann könnte man sehr einsilbig werden. Die Frage nach den Zulassungsbedingungen zum ordinierten Dienst begleitet die katholische Kirche schon lange, sie kommt nicht zur Ruhe, sie ist nicht die einzige und auch nicht die zentrale Frage. Aber sie in diesem Zusammenhang zu verschweigen, das wäre nicht Recht gewesen. Es geht auch überhaupt nicht darum, irgendetwas aufzuweichen oder einfach zu liberalisieren, sondern es geht um die Frage, inwieweit Gewissensfreiheit und die Achtung, der Respekt vor der Verantwortung und der Autonomie der anderen wirklich ein Heimatrecht in unserer Kirche bekommen.