Urteilsverkündung im NSU-Prozess mit Spannung erwartet

"Danach nicht einfach zwei Löcher durch die Akten machen"

Es war eine oft zähe Suche nach der Wahrheit im NSU-Prozess. Sie dauerte mehr als fünf Jahre. Barbara John, Ombudsfrau der Bundesregierung für die NSU-Opfer, sieht der Urteilsverkündung an diesem Mittwoch mit Spannung entgegen.

Schild mit der Aufschrift "Angeklagte Zschäpe" im Gerichtssaal im Oberlandesgericht München / © Tobias Hase (dpa)
Schild mit der Aufschrift "Angeklagte Zschäpe" im Gerichtssaal im Oberlandesgericht München / © Tobias Hase ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie waren und sind in Kontakt mit den Familien der Opfer. Mit welchen Gefühlen gehen diese Familien an den Tag der Urteilsverkündung an diesem Mittwoch heran?

Barbara John (Ombudsfrau der Bundesregierung für die NSU-Opfer): Wir haben uns oft darüber unterhalten, wie das sein wird, wenn das Urteil gesprochen wird: Schon mit einem Gefühl der Erleichterung, dass dieser Prozess von mehr als fünf Jahren nun vorbei ist. Aber auch mit einem klammen Gefühl: Wie wird denn das Urteil ausfallen?

Denn natürlich ist die Erwartung, dass die Hauptangeklagte auch die Höchststrafe bekommt und das heißt lebenslänglich. Und wegen der besonderen Schwere der Schuld dann auch wirklich nicht nach zehn oder 15 Jahren gleich wieder das Gefängnis verlassen darf. Sechs Jahre hat sie ja schon abgesessen.

DOMRADIO.DE: Vor genau einer Woche hat Beate Zschäpe ihr Schlusswort gesprochen und sich da auch für das Leid entschuldigt, das sie verursacht habe. Wie haben Sie und die Familien diese Worte denn aufgenommen?

John: Das war nicht glaubhaft, weil doch der Schwerpunkt dieser fünfminütigen Rede darin lag, für sich doch günstige Bedingungen zu schaffen, wenn das Urteil gesprochen wird. Sie hat sich quasi als erstes Opfer des NSU-Terrors dargestellt, obwohl sie selbst die Logistikerin war, die Hand in Hand mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zusammengearbeitet hat. Das war offensichtlich.

Sie hat sich zwar entschuldigt, aber wie viele Zeugenaussagen gab es während der ganzen fünf Jahre? Alle zehn Familien haben gesprochen, alle Opfer aus Köln haben vor ihr gesessen, haben sie angeschaut, haben darum gebeten, dass sie endlich sagt, wie das war und wie es dazu gekommen ist, dass die Angehörigen ermordet worden sind. Dazu hat sie nichts gesagt. Die Ausstrahlung auf die Familien war null und insofern kann man ihr das nicht abnehmen. Sie war darum bemüht, dass sie selber so gut wie möglich daraus wegkommt.

DOMRADIO.DE: Aus ihrer Sicht: Haben die Familien denn genug Gehör gefunden in den letzten fünf Jahren und über 430 Verhandlungstagen?

John: Ja, ich denke einerseits schon. Es war sogar so, dass oft auch die Medien darum gebeten haben, dass Familienangehörige wieder und wieder ihre Geschichten erzählen oder gerade erzählen, wie es ihnen nun geht. Man muss wissen, dass das für die Familien eine unglaubliche seelische Qual ist. Immer wieder alles hoch zu holen und darüber zu berichten. Insofern kam es nicht immer zu den erwünschten Interviews.

Aber im Gericht selber haben sie Gehör gefunden, das war am Anfang nicht so. Da sind auch Einlassungen der Opfer, die in die Richtung gingen: Warum ist das überhaupt passiert? Warum hat der Staat nicht früher eingegriffen? Die sind abgebürstet worden. Später hat dann auch die Leitung des Prozesses dazugelernt und die Familien etwas länger sprechen lassen. Aber am Schluss hatten wir alle Möglichkeiten, dann auch darüber zu berichten.

DOMRADIO.DE: Sie haben jetzt einen Verein für die Angehörigen von Opfern terroristischer Anschläge gefordert. Was genau stellen Sie sich da vor?

John: Wir haben eine Situation in Deutschland, dass es zwar sehr viele Opferberatungsstellen gibt, die sich um die Opfer terroristischer Anschläge kümmern, aber die Menschen selber, die davon betroffen sind, haben keine Stimme. Das ist im europäischen Ausland anders.

Es ist so wichtig, dass sie wieder in die Mitte der Gesellschaft geholt werden, dass sie selber Ansprechpartner sind für Schulen, für das Bildungssystem, für die Polizei, für die Politik, für die Medien, dass sie andere Opfergruppen unterstützen können und dass sie einfach kundtun, was es mit Menschen macht, die auf diese Weise einen Angehörigen verlieren. Sie sind einfach Botschafter dafür, dass Menschen friedlich zusammenleben sollen. Und von daher ist ein solcher Verein dringend notwendig.

DOMRADIO.DE: Wenn jetzt dieser NSU-Prozess endet: Was bleibt übrig?

John: Ich hoffe, es bleibt viel. Es bleibt vor allem die Frage der Fragen: Interessieren wir uns in Deutschland wirklich? Und damit meine ich alle Menschen, die hier leben, die Einwanderer und die Deutschen. Wollen wir wirklich wissen, warum das passiert ist, warum das NSU-Trio so lange morden konnte und warum der Staat es gar nicht wissen wollte? Wenn ich sage "der Staat" dann sind es die Ermittlungsbehörden, aber auch die Verfassungsschutzbehörden. Bisher wissen wir es nicht.

Es gab 15 Untersuchungsausschüsse, einige tagen noch, da ist viel rausgekommen aber nicht die entscheidende Frage. Das heißt, wir dürfen jetzt nicht zwei Löcher durch die Akten machen und das kommt ins Gerichtsarchiv, sondern die Untersuchungen, die Fragen müssen weiter gehen. Wir müssen es wirklich wissen wollen, um auch voranzugehen und zu sagen, das darf nicht wieder passieren und wir müssen mehr tun als bisher.

Das Interview führte Verena Tröster.


Barbara John, Ombudsfrau der Bundesregierung für die NSU-Opfer / © Christoph Schmidt (dpa)
Barbara John, Ombudsfrau der Bundesregierung für die NSU-Opfer / © Christoph Schmidt ( dpa )
Quelle:
DR