Ein Weckruf, eine Warnung und ein Gewissensappell - das am Dienstag bekanntgewordene Schreiben von Papst Franziskus an die US-amerikanische Bischofskonferenz lässt aufhorchen.
In seinem Brief findet der Papst deutliche Worte zu den Abschiebungen von Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere unter der neuen US-Regierung von Donald Trump. "Die Abschiebung von Menschen, die in vielen Fällen ihre Heimat wegen extremer Armut, Unsicherheit, Ausbeutung, Verfolgung oder schwerwiegender Umweltzerstörung verlassen haben, verletzt die Würde vieler Männer und Frauen sowie ganzer Familien und versetzt sie in einen besonders verletzlichen und schutzlosen Zustand", schreibt er.

Mit rund 52 Millionen erwachsenen Mitgliedern sind die Katholiken in den USA die größte Glaubensgemeinschaft. Deren Oberhaupt dürfte sich mit seiner Kritik an der Migrationspolitik von Präsident Trump auch an die konservativen Vertreter der nationalen Bischofskonferenz richten, die sich in der Vergangenheit mehr um Abtreibung und Transgender-Themen als um den Umgang mit Einwanderern sorgten.
Deutliche Worte des Papstes
Mit besonderer Schärfe wendet sich der Papst gegen eine Kriminalisierung von Migranten. "Ein richtig gebildetes Gewissen kann nicht umhin, ein kritisches Urteil zu fällen und seine Ablehnung gegenüber jeder Maßnahme zum Ausdruck zu bringen, die stillschweigend oder ausdrücklich den illegalen Status einiger Migranten mit Kriminalität gleichsetzt", schreibt Franziskus. "Was auf der Grundlage von Gewalt und nicht auf der Wahrheit über die gleiche Würde jedes Menschen aufgebaut wird, beginnt schlimm und wird schlimm enden."

Adressaten des Papstbriefs dürften nicht zuletzt die weißen Katholiken in den USA sein, die im November nicht nur Trump mit deutlicher Mehrheit gewählt haben, sondern auch seinen Kurs der Massenabschiebungen unterstützen. Als deren Sprachrohr positionierte sich zuletzt der zum Katholizismus übergetretene Vizepräsident J.D. Vance.
US-Vizepräsident bemüht Thomas von Aquin
Dieser versuchte, die harte Linie der Regierung mit einem Rückgriff auf Thomas von Aquin, einen der bedeutendsten Theologen des Mittelalters, zu begründen. "Du liebst deine Familie, dann liebst du deinen Nachbarn, dann liebst du deine Gemeinschaft und dann liebst du deine Mitbürger in deinem eigenen Land", kommentierte Vance. Erst danach könne man sich um den Rest der Welt kümmern. "Googeln Sie einfach mal 'ordo amoris'", füge der Vizepräsident unter Bezug auf den von Thomas von Aquin geprägten Begriff einer "Rangordnung der Liebe" hinzu.

Das musste Franziskus offenbar nicht tun, um diese Interpretation zurückzuweisen. Der wahre "ordo amoris", den es zu fördern gelte, sei im Gleichnis vom barmherzigen Samariter zu entdecken. In der Passage im Lukas-Evangelium gehe es um eine Brüderlichkeit, "die allen ohne Ausnahme offen steht", betonte der Papst, ohne Vance namentlich zu erwähnen.
Aus den Reihen der US-Bischöfe hatte Kardinal Robert McElroy die mahnenden Worte des Papstes in seiner letzten Predigt an seiner bisherigen Wirkstätte in San Diego vorweggenommen. "Wir erleben einen Krieg der Angst und des Terrors gegen Migranten", prangerte der künftige Erzbischof von Washington die Politik Trumps an. "Wir müssen aufstehen und deutlich sagen: 'Nicht weiter!'" Das künftige Sprachrohr des Papstes in der US-amerikanischen Hauptstadt bezeichnete die Vorgehensweise der Einwanderungsbehörde als "das Gegenteil dessen, was christlich ist".
Klage religiöser Organisationen
Unterdessen reichten 27 religiöse Organisationen Klage gegen die US-Regierung ein. Wie Medien unter Berufung auf die beim US-Bezirksgericht in Washington eingereichte Klageschrift berichten, wollen sie damit gegen eine Anordnung Trumps vorgehen, die US-Einwanderungsbeamten mehr Spielraum an sensiblen Orten wie etwa Gotteshäusern einräumt. Damit würden Gläubige unter anderem davon abgehalten, Gottesdienste zu besuchen - die sei eine Verletzung der Religionsfreiheit.
Die Auswirkungen der kompromisslosen Einwanderungspolitik sind bereits jetzt für die Kirche spürbar. Eine Sprecherin bestätigte, dass die für Migration zuständige Abteilung der Bischofskonferenz ein Drittel ihres Personals entlassen musste. Der Grund: Es fließen keine Bundesmittel mehr für die Eingliederungshilfe legaler Flüchtlinge. Von den Entlassungen seien 50 Mitarbeiter in der Flüchtlingsarbeit betroffen.
US-Bischöfe begrüßen das Papstschreiben
Die US-Bischöfe begrüßten das an sie gerichtete Schreiben des Papstes. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Timothy Broglio, dankte Franziskus für dessen Unterstützung und erinnerte daran, dass in jedem Migranten "das Antlitz Christi" zu erkennen sei.

Als eine "prophetische Mahnung" bezeichnete der Erzbischof von Chicago, Kardinal Blase Cupich, die Intervention des Kirchenoberhaupts und betonte im Interview mit Vatican News ebenfalls die Dringlichkeit des Schutzes der Würde von Migranten in der aktuellen politischen Lage der USA.